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Unter der Hand (German Edition)

Unter der Hand (German Edition)

Titel: Unter der Hand (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dagmar Leupold
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Glücksbotin.
    Maikäfer, flieg
, murmle ich ausgesprochen sinnlos, ein ungezieltes Ausholen in unbestimmt aufständischer Absicht, das war auch mein Schlaflied,
dein Vater ist im Krieg, die Mutter ist im Pommerland, Pommerland ist abgebrannt
, lustige Kindheit, wenn man die übersteht, ist doch schon viel gewonnen. Als Erwachsener ist man dann ihr Verweser. Schelm dagegen, das hat einmal Aas bedeutet. Aussatz. Feine Gesellschaft. Ich aber will Sätze. Kurzum, Vico, Zensor und Auftraggeber, wenn auch dubioser, ich versage, ich plappere vor mich hin, wühle mal wieder in den Eingeweiden der Sprache und halte die Kaffeetasse mit abgespreiztem Finger. Als würde so eine englische Teestunde daraus.
    Lotte hört gottlob gar nicht zu; es ist weniger die Vergangenheit, die sie ablenkt, als eine sehr gegenwärtige Katze, die ihrerseits Vögel belauert, dabei durch die frisch geharkten Beete stapft und die empfindlichen Begonien abknickt. Mit einer Energie, die ich ihr nicht zugetraut hätte, springt Lotte auf, klatscht in die Hände und schreit:
Wirst du wohl!
    Nun springe ich auf, nehme die drei Stufen zum Garten auf einmal und mache einen Satz auf die Katze zu. Schreie ebenfalls und ein zweites Mal:
Pommerland ist abgebrannt
. Die Schwarze faucht, dreht ab, trollt sich. Ich drücke die krümelige Erde wieder an, zwei abgebrochene Blumenstängel bringe ich zurück auf die Terrasse, Lotte kommt mit einer kleinen Vase und rückt sie wie einen Siegerpokal in die Mitte des Tischs.
    Meine erste Heldentat: Katze vertreiben. Ich bin außer Atem. Aus Beschämung. Oder ihrem Gegenteil. Wir ruhen uns aus. Es ist nicht einfach mit uns. Lottes Blick ist auf den wiederhergestellten Garten gerichtet, sie ordnet dabei mit beiden Händen ihre Frisur, zwei Strähnen haben sich im Aufruhr gelöst und sind über die Ohren gerutscht. Sie werden nun nachdrücklich wieder befestigt. Ich schaue mich um; an der Wand mir gegenüber und an allen Wänden in der Küche hängen Holzlöffel, Kupferpfannen und eisernes Geschirr. Eine Ausrüstung, als gäbe es irgendwo eine gewaltige Feuerstelle, auf der Riesen ihre schlimmen Mahlzeiten zubereiten, deren Hauptzutaten sie zuvor erjagen und erschlagen mussten. Im Gegensatz dazu ist das auf einem Spitzendeckchen platzierte Bügeleisen, das die Konsole der Eckbank dekoriert, winzig, einer Puppenstube entsprungen, man kann seinen Griff nur mit zwei Fingerspitzen nehmen und einen Fingerhut Wasser in seinen Bauch leeren. Es dienst zum Glätten der Sorgenfalten oder der Puppenhemdchen, auf denen die Blutflecken fast verschwunden sind. Oder zum Aufbewahren von Reliquien, beispielsweise einem winzigen Fingerknöchelchen, das die Hexe von Hänsel in der unzensierten Fassung des Märchens übriggelassen hat.
    Schon gut, ich höre auf – auch das Schwarzmalen ist ein Frühgeburtsfehler. Zu einer wirkungsvollen Selbstverteidigung gehört nun einmal die Berechnung der unschönsten aller Möglichkeiten. Man muss sich seiner Haut wehren, vor allem, wenn sie so dünn ist wie meine.
    Mitten auf Lottes Küchentisch steht, sehr sachlich, eine Holzschale, die nicht mit Obst, sondern mit Tablettenschachteln gefüllt ist, die meisten davon noch in Folie eingeschweißt. Ein ziemlich dunkles Stillleben, das mir schreckhaft vertraut ist. Davon später.
    Wie kamen Sie auf Pferdewirtin?, fragt Lotte jetzt, und ich reiße den Blick los von den Requisiten. Richte ihn auf Lotte, ihr Lächeln ist unsicher, beinahe bittend. Zum ersten Mal kann ich sie mir jung vorstellen, einer Gegenwart angehörig, eine Zukunft vor der Nase.
    Das gibt mir Antrieb, und ich erfinde eine pferdebegeisterte Mutter, Reitstunden und Ausritte, selbstredend jenseits von Nonnen und Nonnenau, erzähle vom Celler Gestüt (das ich vor Jahren tatsächlich einmal besichtigt habe), in dem ich meine Ausbildung absolviert hätte, von nächtlichen Fohlengeburten, wie die Fohlen, Hufe voraus (hoffentlich stimmt das!), wie in Klarsichthülle verpackt herausgleiten und sich nach unvorstellbar kurzer Zeit auf ihre staksigen Beine stellen. Und zulassen, dass man sich in ihren schimmernden, ahnungslosen Augen spiegelt. Ihr Fell glänzt wie frisch geschlüpfte Kastanien. Ich spreche von der Einfühlsamkeit, die dann notwendig ist, wenn es keine gemeinsame Sprache gibt, bei Tieren also immer. Ich ereifere mich geradezu.
    Lotte nickt bedächtig, möglicherweise sieht sie auch in uns ein Beispiel dafür, und sie reklamiert nicht, dass meine Darstellung bis auf die spärlichen

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