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Unter der Hand (German Edition)

Unter der Hand (German Edition)

Titel: Unter der Hand (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dagmar Leupold
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vielmehr an die von ihnen versorgte Kreatur, mit der ein solch frivoles Geschenk in keinerlei Verbindung gebracht werden konnte. Da wurde keine zukünftige Frau ausgebrütet, niemand sprach von der Kleinen im Futur. Alle hatten sich darauf eingerichtet, es im Präteritum und im Neutrum zu tun.
    Während ich die Mangoldblätter zuschneide, umarmt mich Franz von hinten und lobt mein Bindegewebe. Ich habe eine Binde-Schwäche, protestiere ich und lehne mich sanft gegen seine Erektion. Wir stoßen aufeinander an, der Weißwein perlt: Endlich stimmt einmal, was auf dem Etikett steht. Franz will einen besonderen Trinkspruch, ich bin faul und will nur, dass er mir den schmerzenden Nacken massiert. Sage schnell: Auf uns Philharmoniker!
    Franz fragt zurück: Was hast du gegen Harmonie? Und ich erwidere: Im Gegenteil, es ist meine einzige Sucht. Wir sind nicht mehr ganz jung. Und küsse ihn.
    Wir essen die Mangoldrouladen, trinken den Wein und lassen uns das Holundermousse über die Zunge gleiten. Die Wohnung umschließt uns wie ein Mantel.
    So, sagt Franz, lässt sich die Endlichkeit aushalten. Wir lassen alles stehen und schlüpfen unter die Decke, von der Friedlichkeit des Abends wie von selbst und mild zusammengeführt. Ich halte Franz, dessen Gesicht über mir im Halbdunkel hell und fern wie ein schwacher Mond leuchtet, an den Hüften, er bewegt sich ruhig und drängend zugleich. Ich verspüre eine unfassbare Lust, seine Lebendigkeit zu preisen. Und ich sage dicht an seiner Ohrmuschel: Mensch, Franz.
    Mitten in der Nacht wache ich auf, von Träumen verklebt; der Essensgeruch hat sich ausgebreitet und versiegelt die Luft. Ich reiße die Fenster auf, aus der Ferne grüßt der festlich erleuchtete Turm eines Stromversorgers. So sahen früher nur Kirchen aus. Von Franz sehe ich lediglich den Haarschopf, er deckt sich immer so zu, als müsse er einen Angriff gewärtigen oder einen Überfall von arktischer Kälte. Seine großen Schuhe stehen verloren vor dem Bett, als sei ihnen das Ziel abhandengekommen. Ich nehme sie auf, fahre mit den Händen hinein und stelle sie in den Flur. Habe ich das früher mit denen meines Vaters gemacht? Um ein Gefühl für seine Anwesenheit zu bekommen? Wer weiß. Nachts könnte alles sein.
    Ich überlege, ob ich Franz von Lotte erzählen soll. Franz weiß noch nichts von meiner Mission und von Vico. Franz weiß nur, dass ich kleine Auftragsschreibarbeiten übernehme, mehrere Nachhilfeschüler betreue und ein, zwei Wohnungen in Abwesenheit ihrer Eigentümer versorge – Blumen gießen, Post sammeln, Rollläden öffnen zum Zeichen der Bewohntheit. Wird der Geldmangel extrem, übernehme ich das Korrekturlesen für Nachschlagewerke und Wörterbücher. Als Schwarzarbeiterin erlaube ich mir die Benutzung des Staates abgabenfrei. Ich zahle aber in anderer Form zurück. Und verlange keinerlei Gefahrenzulagen. (Falls du dich fragst, Vico, was an meinem Leben beziehungsweise für Grottenmolche generell gefährlich ist: der Lichteinfall.)
    Ich schmiege mich an den schlafenden Körper von Franz wie ein Parasit an seinen Wirtsbaum; er ist ganz und gar Funktionalität: Atmen, Blutzirkulation, Verdauung, Abwärme. Wer sagt denn, dass nicht auch das Zärtlichkeit sein kann, wer weiß schon etwas über die wechselseitige Zuneigung zwischen dem Schmarotzer und seinem Herrn. Und woher will man überhaupt wissen, dass die Rollen fest verteilt sind und nicht in jedem Moment neu ausgelost werden. Ich spüre, wie sich der Schlaf wieder über mich legt, ein wachsender Schatten. Ich lasse die Arbeit ruhen. Morgen früh, wenn Gott will. Kennst du das Schlaflied, Vico? Hat es dich als Kind erschreckt? Was, wenn Gott nicht wollte? Darüber lässt sich nur nachdenken, wenn er gewollt hat.
    Beim Frühstück liest Franz die Zeitung. Es gefällt mir, denn damit hält eine schöne Unterstellung in unser Leben Einkehr: dass dies die Normalität ist. Die Brille mit dem schwarzen Rahmen zum improvisierten Pyjama verleiht Franz eine komische Offizialität, er unterstreicht sie, indem er mir in sonorem Ton aus der Zeitung vorträgt. Die fortschreitende Verblödung löse in ihm den Reflex aus, seine Patienten zu piesacken, sagt er. Fang bloß nicht mit mir an, sage ich. So unterkomplex bin ich nicht, sagt er und köpft sein Ei. Ich dagegen nehme sorgfältig die Schale ab, bevor ich es mit dem Löffel behutsam öffne, und denke über meine Theorie nach, dass die Art und Weise des Ei-Verzehrs durchaus Grundlage sein kann für eine

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