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Unter der Hand (German Edition)

Unter der Hand (German Edition)

Titel: Unter der Hand (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dagmar Leupold
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zur deutschen Sprache mit, häufig gähnend, die Sätze auslaufen lassend, als würde ihn die formvollendete Beendung sowohl langweilen als auch unnötig strapazieren: Deutsch hat einen dicken Hintern, -ung, -heit, -keit. Er macht mit der Zunge Geräusche, als setzte sich eine korpulente Person auf eine weiche Oberfläche. Ich muss lachen, er auch, beim Lachen sieht man den angeschlagenen Schneidezahn. Colaflasche, hat er auf Nachfrage mal erklärt, du dachtest, mein Vater hat … Einer dieser unfertigen Sätze, diesmal mir zuliebe, ich schwieg. Wir trinken – übrigens auch aus puppenhaft kleinen Tässchen – ich einen Kaffee, er einen Kakao. Ich diktiere ihm, wir reden, er kaut an den Bändeln seiner Kapuzenjacke und nennt mich hartnäckig Mo statt Minna, Wortklauber, sagt er, wenn ich protestiere, und fährt fort, seine Heftseiten mit berückend schöner persischer Schrift zu verzieren.
    Am Nachbartisch sitzt ein Mann, grauhaarig, was ihn vermutlich älter erscheinen lässt, als er ist, und redet mit leiser Stimme auf eine Schülerin ein, die ihren Blick nicht zu ihm wendet. Er sieht sympathisch aus und bekümmert. Als sei ihm das Fahrrad gestohlen worden oder den ganzen August keine einzige Sternschnuppe zugefallen.
    Parwiz springt nach dem letzten Satz auf, schiebt mir das Blatt hin, das vibrierende Handy in der erhobenen, winkenden Hand, mach’s gut Mo, bis Mo. Dann klingelt meins. Es ist Lotte.
    Müssen Sie heute noch in den Stall?, fragt Lotte, nachdem sie sich zweimal vergewissert hat, dass wirklich ich antworte. Und dann sagt sie: Mit den Handys kenne ich mich nicht aus.
    Sie klingeln genauso wie andere Telefone, Lotte, und eigentlich geht nur der oder die Gewünschte dran.
    Wegen der Vorwahl denkt man immer, es sei ein Ferngespräch.
    Führen wir das nicht ohnehin alle, Lotte?
    Meine letzte Einlassung übergeht sie zu recht und stellt die oben genannte Frage.
    Erst morgen, sage ich und überlege erschrocken, wie ich in Zukunft mit der Fiktion Pferdewirtin verfahren könnte. Beim
Circus Krone
die Pferdboxen ausmisten, als Stalljunge. Wenn schon Erfindung, dann richtig. Eine kleine Geschlechtsmetamorphose, Haare kurz, Käppi, Brust flach gemacht (ist sie schon), wortkarg. Ein Kindheitstraum nebenher erfüllt: Junge sein.
    Noch während ich diese Idee als albern, unreif und läppisch verwerfe, lädt mich Lotte ein, mit ihr eine Ausstellung zu besichtigen, Tiffany, sagt sie, Sie wissen, was das ist?
    Es schwingt Stolz in ihrer Stimme mit, und ich verstehe sofort, dass sie sich viele Gedanken über ein verlockendes Angebot an mich gemacht hat, die Zeitung durchforstet, die Öffnungszeiten studiert. Und seit Jahrzehnten nicht mehr im Museum war. Deshalb sage ich, ich wüsste in etwa, worum es sich handle, sei aber froh, wenn sie mir mehr darüber sage. Lotte überrascht mich erneut, indem sie ziemlich streng erklärt, dafür gebe es Kataloge und Broschüren. Wie wäre es mit drei Uhr, holen Sie mich ab?
    Ich mache mich auf den kurzen Heimweg; zum ersten Mal in diesem Jahr riecht die Luft herb vom nahenden Herbst. Bis auf ein paar verschmitzte, zerzauste Wölkchen, die Flugstunden zu nehmen scheinen, ist alles ungetrübt. Wie gut, dass es unmöglich ist, sämtliche Flugzeuge zu sehen, die zeitgleich den Himmel durchkreuzen, bis er ausgestrichen ist. Wo all die schönen Sternlein prangen. Das ist Gottes Warte. Das Privileg der Übersicht. Das Laub der kranken Kastanien leuchtet rostig, unter den Füßen raschelt es bereits seit Anfang August. Könnte ich bloß pfeifen.
    Den Mann am Nebentisch der LERNHILFE hat seine Schülerin übrigens grußlos verlassen, so erfuhr ich seinen Namen nicht.
    Zu Hause suche ich im Internet nach einem Gestüt in der Nähe und nach
Tiffany
. Ich will Franz vorschlagen, mich auf einem kleinen Ausflug nach Ammerland zu begleiten, es wird ihn erstaunen, aber auch er wird gehört haben, dass Mädchen in der Vorpubertät Pferdenärrinnen sind – mit einem solchen nostalgischen Rückfall werde ich es begründen. Das darin enthaltene Körnchen Wahrheit wird dem Ganzen den Geschmack des Wahrhaften verleihen. Die Artikel über Tiffany-Glas überfliege ich kaum, breche sofort ab. Ich bin nicht unterwegs in eine Arena, in der ein Kampf ums Besserwissen ausgetragen wird, sondern zu Lotte. Der Ostpreußin, die hoffentlich heute ein anderes Parfum aufträgt als das letzte Mal. Das hatte so sehr nach meiner Mutter gerochen, nachtschattig, schwermütig. Heute bitte Duftnote Frühtau oder Rechte

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