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Unter der Hand (German Edition)

Unter der Hand (German Edition)

Titel: Unter der Hand (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dagmar Leupold
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Gunst.
    Im Museum herrscht sakrales Zwielicht, Lottes zartblauer Pullover und die schwere Bernsteinkette schimmern kostbar. Von den floralen Motiven der Lampenschirme, Vasen und Fensterscheiben geht ein öliger, lüsterner Duft aus, klarer Fall von Synästhesie: Hier riecht man mit den Augen. Mohnblume, Glyzinie, Goldregen, alle üppig, alles verschlungen, alles wuchernd. Als Kind war ich einmal mit einer Tante im Frankfurter Tropenhaus, ich erinnere mich an die Beklemmung; an das Hitzige, Stickige, das die Gewächse ausdünsteten und das durch die Poren eindrang. Beim Hinausgehen hatte ich das Gefühl, fremd besiedelt zu sein, unterwandert, von einem heimtückisch eingeschleusten Sirup verklebt und gefüllt, den zuvor jemand mit Gift angerührt hatte. Zu Hause legte ich mich ins Bett, erklärte mich krank und bekam zwei Tage später attestiert, einen ungewöhnlichen Erreger, der eigentlich nur in den Tropen vorkomme, aufgeschnappt zu haben. Ich schwitzte dankbar, so viel Macht hätte ich mir gar nicht zugetraut.
    Lotte staunt und macht zu jedem Exponat eine Bemerkung: Dieses Blau! Dieses Grün! Diese Claire! So hieß die Chef-Designerin von Charles Tiffany, das hatte ich in der Zwischenzeit den Erläuterungen auch entnommen. Auf Fotos von Ausflügen steht sie immer ganz am Rand, die bräunlichen Fotos wirken inmitten der strotzenden Farben des bemalten Glases besonders leblos. Als hätte Claire ihr ganzes Blut unter die Farben gemischt und sei selbst blass und blutarm zurückgeblieben.
    Lotte erzählt, dass sie ein Jugendstillämpchen auf dem Nachttisch stehen habe, der Glasschirm einfarbig, betont sie, sie lese nämlich im Bett.
    Was denn?
    Die Erinnerungen von der Dönhoff, einen Steinwurf sei deren Landgut von ihrem Geburtsort entfernt gewesen, die schönsten Trakehner hätten bei den Dönhoffs auf den Weiden gestanden.
    Ich suche umgehend nach einem Anschluss zu einem anderen Thema als Pferde. Da wir vor einer Vitrine mit kleinen Gegenständen, Döschen und Ähnlichem, stehen, frage ich Lotte nach ihren Schmuckvorlieben: Würde sie so etwas als Anhänger tragen wollen? Als Brosche?
    Lotte schüttelt nachdenklich den Kopf, wie in Zeitlupe.
    Wissen Sie, Minna, ich habe noch nie in meinem Leben Ohrringe getragen. Und es gibt so schöne!
    Ja, sage ich, ich habe mir auch erst als Erwachsene Ohrlöcher stechen lassen, zu protestantisch, mein Elternhaus, für derlei Extravaganzen.
    Lotte wendet mir ihr Gesicht zu, im dämmrigen Licht eigentümlich strahlend, und ruft:
Eben!
    Ich muss lachen; sie sagt es im Ton eines Mathematikers, dem nach jahrzehntelangem Forschen ein schwieriger Beweis glückt. Wir schreiten die feierlichen Säle ab, in mir wächst die Lust auf Kaffee und Kuchen, zur Belohnung für den Museumsbesuch. Ich mustere die anderen Ausstellungsgäste, sie wirken ehrlich vertieft und begeistert, sie tragen Kopfhörer und stehen lang vor jedem Exponat. Ich bin nach drei, vier Beispielen müde, besonders die riesigen Lampenschirme kommen mir wie bedrohliche Luftpilze vor. Lotte scheint Schmerzen beim Gehen zu haben, sie zieht das rechte Bein etwas nach, der Fuß schlenkert, bis sie ihn absetzt, als gehöre er nicht ganz dazu. Manchmal taumelt sie, fängt sich schnell, und mein Arm, den ich ihr zur Unterstützung anbiete, kommt jedes Mal zu spät, wird abgewinkt. Sie macht ein tapferes Gesicht zu ihrer Ablehnung,
ich schaffe das allein, ich habe das ganze Leben allein geschafft, meine Liebe. Und die Flucht übers Haff
.
    Vielleicht denkt sie das. Oder einfach nur:
Wäre ich doch zu Hause geblieben und hätte die Eichhörnchen vertrieben, die meine empfindlichen Begonien umknicken bei ihren unanständigen Jagden
.
    Dabei liebt sie Tiersendungen. Und ich kann nicht feststellen, ob ich Lotte sympathisch oder unsympathisch finde – etwas ist vertraut an ihr, anderes beunruhigend und manches regelrecht unangenehm. Ich nehme in Gedanken Zuflucht bei Claudia, der Radfahrerin, die es verstanden hatte, noch allen Widrigkeiten etwas abzugewinnen. Die würde sich jetzt vermutlich bei Lotte einhängen, freimütig bekennen, dass sie die Nase voll habe von
Tiffany
& Co und Appetit auf Schlagsahne. Genauso wahrscheinlich ist es allerdings auch, dass sie keine Mutter aus Ostpreußen hatte, deren offene Rechnungen jetzt stellvertretend von einer dritten Person vorgelegt würden. Ich fühle mich hin- und hergerissen zwischen dem Impuls zu sagen: Das erledige ich ohne Ratenzahlung!, und der Weigerung, Schulden zu tilgen.

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