Unter der Hand (German Edition)
bin sicher, dass die Enttäuschung in meinem Gesicht abzulesen ist, als Eintrübung, als Schatten, was weiß ich. Tränen drängeln außerdem. Ich schlucke, räuspere mich, halte den Blick.
Schon gut, sage ich schließlich, eine gute Idee.
Und dann wird es ein Wandertag vom Feinsten.
Das Gut Ammerland liegt bei Münsing am Starnberger See. Heinrich übersieht die kleine Stichstraße und brettert den Hügel hinauf, der, einmal erklommen, eine berückende Sicht auf den See freigibt: aus Gottes Werbeprospekt für unseren übergeschnappten Planeten.
Die beiden auf dem Rücksitz johlen, auch sie sind überrascht von Heinrichs Fahrstil, sie haben das Hinweisschild zum Gestüt im Vorbeifahren gesehen und rütteln von hinten an seinen Schultern, um ihn zum Umdrehen zu bewegen.
Sachte, sagt Heinrich, bei mir handelt es sich um ein älteres Modell mit ausgeprägten Bruchstellen.
Anja ist unglaublich ausgelassen, sie singt Selbstgedichtetes,
Lummerland, da will ich hin
, Parwiz beobachtet sie schweigend, den Kopf zum besseren Überblick an die Scheibe gelehnt, der Gesichtsausdruck ist der eines mit einem delikaten Problem befassten Forschers.
Wir fahren durch ein sonnengesprenkeltes Waldstück, die Tannenzapfen springen wie kleine Torpedos unter den Reifen weg, ich studiere Heinrichs Profil. Er schaut ruhig auf die Straße, schaltet, steuert – kein Aufhebens.
Erst nach dem Einparken, noch mit laufendem Motor, wendet er sich mir zu:
Alles in Ordnung?
Ich strecke die Hand aus, berühre seinen Oberarm.
Alles in Ordnung.
Es folgten noch drei oder fünf weitere Sätze, alle unnütz, unerheblich im Wortsinn, aber, wie das Einstimmen aller Instrumente durch den Konzertmeister, unerlässlich für das Zusammenspiel, den richtigen Ton.
Wir haben so viel Proviant dabei, dass es – laut Parwiz – für eine Erdumrundung reichen würde. Jeder von uns hat Portionen für vier Personen eingepackt, selbst ich, die ich nur von zweien ausging, diese aber doppelt hungrig wollte.
Das Gestüt liegt in der Sonne, eine große, hufeisenförmige Anlage, ringsum sind alte Futtertröge mit späten Sommerblumen bepflanzt, aus den Boxen ertönt Schnauben und Wiehern, es riecht vorschriftsmäßig nach warmem Pferdemist und Heu. Zwei junge Frauen in Reitkluft führen zwei Pferde am Halfter nach draußen, binden sie an die großen Eisenringe, die entlang der gesamten Mauer angebracht sind, und beginnen die Boxen zu säubern.
Heinrich tritt zu ihnen und fragt, ob wir uns ein wenig umsehen dürften.
Die Blonde schaut auf, nimmt uns in Augenschein und sagt:
So eine nette Familie. Klar können Sie sich umschauen.
Anja steht bei der braunen Stute, die angepflockt ist, und hält ihre Hand vor die weichen, leicht geblähten Nüstern. Dann streichelt sie behutsam über den Nasenrücken und sagt zu Parwiz: Fass mal an! So weich, so warm. Wie Velours.
Wie was?, fragt Parwiz zurück und nähert sich ihr.
Velours, sagt Anja, so eine Art weiches Leder ohne Narben.
Die Augen sind irre, sagt Parwiz, ohne das Pferd zu berühren. Sie sind so groß und feucht und tiefdunkel, dass man sich erschaut fühlt.
Heinrich und ich gehen quer über den gepflasterten Hof, im Konzert der kleinen, geschäftigen, friedlichen Geräusche, die das Geviert füllen. Vorbei an einem Brunnen, der Trog aus Naturstein, aus einem schlichten Hahn plätschert ein Wasserstrahl ins Becken, daneben eine Kiste mit der Aufschrift Z
u verschenken
.
Das reinste Stillleben, sagt Heinrich, während ich mich bereits bücke und in die Kiste schaue:
Ein Paar Reitstiefel, sichtlich gebraucht, aber nicht kaputt, eine Steppweste, ein Kinderreithelm.
Die Stiefel passen, Größe 40, siehst du, sagt Heinrich, jemand wusste, dass eine Pferdewirtin vorbeikommen würde und Bedarf hätte.
Die Märchenfee, sage ich.
Eine gute Seele, sagt Heinrich.
Auf dem Weg zum Auto – ich will die Stiefel sofort in den Kofferraum legen – gehen wir durch den Seitenflügel des Stalls, aus den meisten Boxen recken sich neugierige Köpfe, wir studieren Namen, Geburtsjahre und Abstammungen, Heinrich gesteht, vor Pferden Angst zu haben.
Vielleicht, sagt er, weil sie zu schön sind.
Für den Satz darf ich dich küssen?
Für jeden anderen auch.
Wir bleiben stehen, die Nasen haben Kontakt, Heinrich schließt die Augen. Ich sehe noch, kurz bevor ich auch meine schließe und meine Lippen auf Heinrichs Lippen treffen, dass in der Nische, drei Boxen weiter, Anja und Parwiz umarmt stehen. Zu beschäftigt, um uns
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