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Unter der Hand (German Edition)

Unter der Hand (German Edition)

Titel: Unter der Hand (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dagmar Leupold
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wahrzunehmen. Dieselbe Fee, die mir die Reitstiefel schenkte, führt hier Regie, denke ich und kann endlich dem Drang nachgeben, mich in diesen Mann einzumischen, Mund an Mund: in seinen Atem, seinen Herzschlag, sein Leben. Wir stehen still, von Lust und Neugier in Beschlag genommen, mit der Erkundung befasst, ganz am Rand meiner Wahrnehmung, während Zungen und Lippen sich ausfragen, treibt der Gedanke quer, dass Verkündigung auf Italienisch
sacra conversazione
heißt, heiliges Gespräch: Natürlich, der Engel hat Maria geküsst! Ein echtes Lippenbekenntnis. Ich drängle mich enger gegen Heinrichs festen Körper, in seine Umarmung hinein wie jemand, der Vortritt verlangt.
    Dann gehen wir einen Schritt zurück, mustern einander, ganz wie bei einer Besichtigung, einer Vermessung.
    Glanz, Durchblutung, Spannkraft, sagt Heinrich. Als hätte er gerade ein Auto durchgecheckt.
    Ich muss lachen.
    Woran hast du gedacht?
    Ich sage wahrheitsgemäß, dass ich gedacht hatte, die Verkündigung müsse eigentlich mit einem Kuss geschehen und besiegelt worden sein.
    Dann wärst du jetzt schwanger, sagt Heinrich.
    Aber der Stall käme erst später.
    Wir setzen uns in Bewegung, unsicheren Gangs; die Erde dreht sich, zweifellos.
    Bis zum Parkplatz bleiben wir still, ich verstaue die Stiefel im Auto, wir kehren um und treffen auf Anja und Parwiz an der ersten Koppel, auf der ein Rappe in planlosen Kreisen herumgaloppiert.
    Der kann sich austoben, sagt Anja.
    In Sichtweite zu dem Spektakel lassen wir uns in einer trockenen, sonnigen Wiesenmulde nieder, breiten mit behutsamen Bewegungen die Vorräte aus, als wäre alles zerbrechlich.
    Hungrig?, frage ich.
    Anja schiebt sich ein ganzes hartes Ei in den Mund und sagt freundlich: Davon kannst du ausgehen.
    Kauft deine Mutter nicht normal ein?, fragt Parwiz.
    Die langweilt mich, antwortet Anja.
    Warum?
    Ist nicht meine echte, sie ist meine Ziehmutter.
    Und deine echte, würde die dich auch langweilen?
    Die hat mich als Baby abgegeben, weil die EAP, zu der sie gehörte, Kinderkriegen verboten hatte.
    EAP?
    Ich halte die Luft an und bin völlig überrumpelt von diesem Einstieg, Parwiz aber fragt völlig unbekümmert nach. Ich befürchte, Anja könnte aufspringen und dem Rappen hinterher in wildes Kreisen verfallen, die langen schwarzen Haare wie eine Flagge Aufständischer hinter sich herschwenkend. Aber Anja ist ruhig, isst weiter und schaut Parwiz an, wenn sie ihm antwortet. Sie hat stark gewölbte Augenlider, einen schmalen Nasenrücken, der in zarten Nasenflügeln ausläuft, und ein kindlich rundes Kinn. Ein wehrloses Gesicht. Von lieblicher, porzellanener Unbeschadetheit. Die in die Oberlippe getriebenen Silberringe die Abstreitung davon.
    Das ist die
Europäische Arbeiterpartei
. Anja spricht sachlich, im Ton eines Kursleiters. Das Piercing erzeugt ein leichtes Lispeln.
    Meine Eltern sind als Schüler schon eingetreten, gekapert worden, funktioniert wie eine Sekte oder eine Armee, Privatleben ist quasi verboten, die Wohnungen, in denen du lebst, müssen alle ein zusätzliches Zimmer haben, für die amerikanischen Gäste, die jederzeit auftauchen und deine Lebensführung kontrollieren können. Die Frauen dürfen nicht schwanger werden, weil sie sich in den Dienst der Partei stellen sollen, außerdem gehört der Weltuntergang auch ins Programm, und der könnte jederzeit stattfinden, zu dumm, wenn man da gerade mit eigenem Nachwuchs beschäftigt ist. Studieren durfte meine Mutter auch nicht, sie hat es heimlich mit Jura versucht, ist aber erwischt worden und musste abbrechen.
    Parwiz schweigt und kaut Nägel.
    Komische Geschichte, sagt er dann und schiebt sich die Haare vom Hinterkopf zu den Schläfen, eine Geste, die ich schon vorher an ihm beobachtet habe. Die Bartschatten sind sichtbarer. Die Anstrengung dieses Gesprächs unter den aufmerksamen Augen zweier erwachsener Schaulustiger erhöht seine Anmut, er sitzt kerzengerade, wie auf dem Sprung, alle Sehnen in Bereitschaft.
    Woher weißt du das alles? Kennst du deine Mutter und deinen Vater?
    Hat mir meine Ziehmutter erzählt. Nur von Fotos.
    Heinrich sagt: Ich wusste gar nicht, dass sie noch so spät erfolgreich Leute rekrutiert haben; ich kenne die EAP nur aus den siebziger Jahren und dachte, sie wären längst völlig unbedeutend.
    Mein Vater gehörte zum internen Geheimdienst, sagt Anja mit einem gewissen Stolz.
    Die sind überall unterirdisch zugange. Er durfte als einer der wenigen reisen, zusammen mit meiner Mutter, da haben sie

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