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Unter der Hand (German Edition)

Unter der Hand (German Edition)

Titel: Unter der Hand (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dagmar Leupold
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Teebeutel hineingehängt habe. Es ist kühl auf dem Balkon, dennoch gehe ich voraus und lasse Heinrich keine Wahl. Besser frieren mit Aussicht, als Wärme in der Küche mit Blickkontakt.
    Sie war eine Kollegin, Latein und katholische Religion, sagt Heinrich, neu an der Schule. Groß, schlank, streng, auch streng gläubig.
    Stimmt es oder stimmt es nicht? Ich unterbreche ihn fast schreiend.
    Du wirst dir die ganze Geschichte anhören müssen, Minna. Du hast sie bestellt, jetzt wird sie geliefert. Ich glaube nicht an die schnurgerade Erzählung von Lebensgeschichten, als ergebe sich das eine aus dem jeweils Vorhergehenden, ich tue so, ich tue es dir zuliebe.
    Mein Kopf nickt.
    Elisabeth, so hieß sie, hatte im Lehrerzimmer ihr Fach neben meinem, gelegentlich saßen wir auch zusammen und sprachen über die Lateinklassen, die wir unterrichteten, ich kannte einige der älteren Schüler, die sie in jenem Jahr in ihrer Klasse hatte. Eigentlich mochte ich sie ganz gern, nur ihre Art, auf Konferenzen den Gottesdienstbesuch als Pflichtveranstaltung für alle am Schuljahresbeginn durchzusetzen, missfiel mir. Sie wurde bei solchen Gelegenheiten ziemlich schrill. Zu anderen Kollegen hatte sie wenig Kontakt; sie schüchterte ein: Enge Röcke, schwingendes Haar, Pfennigabsätze, Strickjäckchen – irgendwie unnahbar, französisch, fromm und auffordernd zugleich.
    Sie schlug einen Jour fixe vor, jeden Donnerstagmittag, Lagebesprechung, nannte sie das. Ich wusste nicht genau, welche Lage wir zu besprechen hatten, aber es war mir angenehm. Der Jour fixe war kaum eingeführt, da kamen Vorschläge, abends mal ein Glas Wein zu trinken – irgendwo, sagte sie, mal raus aus dem Schulmief, dem Döner-Gestank, dem Testosterondunst und Turnsaalschweiß. Ich sagte zu, allerdings sehr zögerlich, und sie fragte sofort, ob ich verheiratet sei, bei Menschen ohne Ring wüsste man das ja nie so genau. Ich antwortete wahrheitsgemäß, dass ich seit über zwanzig Jahren verheiratet sei –
    Du bist verheiratet? Mein Tee schwappt über, als ich bei dieser Nachfrage die Tasse heftig auf den Tisch zurückstelle.
    Ich war es, sagt Heinrich, bis vor fünf Jahren. Dann trinkt er seinen Tee aus, in langen Schlucken.
    Die Erzählung wider Willen hat alles ausgetrocknet, hat ihm die Zunge versandet, umgehend und schuldbewusst leuchtet mir sein Durst ein. Heinrich ist ein Landbrüchiger, das oberirdische Gegenstück zum Grottenmolch, der im Feuchten und Dunkeln zwar nicht durstet, aber hungert.
    Heinrich setzt wieder an, muss sich räuspern:
    An einem Donnerstagabend gingen wir zusammen – wir hatten beide bis spätnachmittags Unterricht – in das Parkcafé nahe der Schule. Elisabeth war unruhig, geradezu zappelig, sodass ich, als wir saßen, nachfragte, was sie so beschäftige.
    Du, sagte sie und ergriff meine Hand.
    Während Heinrich spricht, schaut er mich nicht an, er hat den Blick geradeaus gerichtet, als lese er von einem Teleprompter auf Höhe des Pappelwipfels ab.
    Ich habe ihr meine Hand entzogen, habe gesagt, dass es keine gute Idee sei – dumme Formulierung –, aber ich wusste keine bessere, und wir redeten zwei Stunden, tranken einen Liter Wein und gingen hinaus. Ich fühlte mich betrunken. Rief ein Taxi, fragte nach ihrer Adresse und nannte sie dem Fahrer. Kommst du mit? Elisabeth stellte diese Frage im Ton einer Drohung. Als ich
besser nicht
sagte, nahm sie meinen Kopf in beide Hände, küsste mich, ihre Zunge stieß gegen meine Zähne, ihre Stirn gegen meine Brille. Ich nahm ihre Hände herunter, hielt sie in meinen – ich kam mir vor wie ein Pfarrer, der sich nach dem Gottesdienst vor der Kirche von einem besonders schwierigen Gemeindemitglied verabschiedet – und sagte: Lass uns hier aufhören. Auf ein gutes Wiedersehen. Sie fuhr.
    Drei Tage später ruft mich der Rektor ins Büro und liest mir vor, wie ich sie bedrängt und belästigt hätte, obwohl sie mir von Beginn an klar gemacht hätte, dass sie grundsätzlich mit verheirateten Männern keine Beziehungen einginge.
    Heinrich nimmt seine Brille ab; so war das, fügt er hinzu, jetzt weißt du es. Ich habe mich gewehrt, einen Anwalt genommen, Unterlassungsklage – nach sechs Monaten war ich mürbe. Jedes Mal, wenn ich ins Lehrerzimmer trat, senkten sich die Köpfe, verstummten die Gespräche, rückten Stühle zusammen.
    Keiner hat zu dir gehalten?, frage ich.
    Und bin eigentlich gar nicht mehr neugierig, sondern nur bewegt, bewegt von der Anstrengung, die Heinrich in die Wiedergabe

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