Unter der Hand (German Edition)
heißen die dann
Bauhaus
?
Nein, sie heißen nicht so, ich nenne sie nur so, damit ich weiß, wohin der Schlüssel gehört. Du wirst schon sehen, die Wohnung ist –
Edel?
Zurückhaltend, antworte ich.
Reiche über- oder untertreiben immer, eins von beidem, sagt Parwiz mit gesenkter Stimme, kein Zweifel, es handelt sich dabei um die unumstößliche Bilanz seiner ersten fünfzehn Lebensjahre.
Die Untertreibung beeindruckt ihn dann aber doch sichtlich. Er steht im geräumigen Vorraum, auf den geölten Dielen, deren karge Schönheit kein Teppich beeinträchtigt, und staunt. Eine Wand mit deckenhohen Bücherregalen, zwei weiße Wände, aus einer ragt eine Metallstange, die als Garderobe dient. An der vierten endlich ein Bild, Parwiz nähert sich: Es ist die gerahmte Fotografie des toten, am Boden liegenden Benno Ohnesorg, an seiner Seite die sich nach Hilfe umschauende junge Frau.
Ist das der vom Schah-Besuch?, fragt Parwiz. Warum hängt das hier? Ist die Frau hier vom
Bauhaus
?
Nein, sage ich, das ist sie nicht, sie ist gleich alt, und für die beiden hier – ich zeige auf die anderen Zimmer – waren die späten sechziger Jahre entscheidend.
Wieso, sind sie Politiker geworden?
Nein, sie betreiben ein Auktionshaus.
Mit Sachen aus den sechziger Jahren?
Nicht unbedingt.
Wieso waren die dann entscheidend?
Für ihre Entschlossenheit, die Stehplätze zu räumen und sich im Parkett niederzulassen.
Verstehe ich nicht, sagt Parwiz und wendet sich der chinesischen Trauertanne zu:
Was ist denn mit der los, die sieht aus, als würde sie eingehen?
Sie ist betrübt, sage ich, betrübt, weil sie in einem Blumentopf steht und keine zweite Trauertanne zur Gesellschaft hat.
Du spinnst.
Ja, ich spinne.
Das Einverständnis in meinem Blick verunsichert Parwiz; er beginnt die ungeordnete Post nach Größe zu sortieren, dann stromert er durch die Zimmer mit dem Blick eines auf Entdeckungen gefassten Völkerkundlers. Ich lockere die Erde im Blumentopf, mische normales und destilliertes Wasser im gewünschten Verhältnis, füge Dünger hinzu und gieße vorsichtig, als handle es sich nicht um eine Pflanze, sondern um ein gefährliches Tier, das durch unbedachte Bewegungen gereizt werden könnte.
Parwiz kommt zurück und will, als wir aufbrechen, unbedingt selbst die Alarmanlage einschalten, das kleine rote Licht springt an wie ein Hexenauge.
Ein Stockwerk tiefer, noch im Treppenhaus, kommen uns die Wohnungsinhaber entgegen, ich bin so überrascht, dass ich zunächst nicht grüße. Entweder habe ich mir falsche Daten aufgeschrieben oder sie sind früher als angegeben zurückgekehrt.
Auf dem Treppenabsatz bleiben wir alle vier stehen: Nanu?, sagt die Eigentümerin mit Blick auf Parwiz, und noch bevor ich ein Wort der Erklärung herausbringe, fragt sie: Was hast du denn da?
Parwiz streckt umgehend die Rechte aus, in der er eine kleine Stierfigur hält, aus Messing, glatt und abgegriffen, die Hörner gesenkt, die Hoden nur angedeutet. Ein Briefbeschwerer, Anfang 20. Jahrhundert. Standort: der Schreibtisch im Arbeitszimmer meines Arbeitgebers. Unerledigte Anschreiben unter seinen zierlichen Hufen. Auch ich habe ihn manches Mal in die Hand genommen, den Widerspruch zwischen filigraner Erscheinung und sattem Gewicht lustvoll gewogen. Mein Gehirn rattert, ich atme so schnell, dass mir schwindlig wird. Die Figur wird Parwiz aus der Hand gerissen, der Schlüssel von mir zurückverlangt, ich kann nicht einmal mehr das Schild mit der Aufschrift
Bauhaus
entfernen.
Wir stehen im gleißenden Sonnenlicht vor dem Haus, Parwiz kneift die Augen zu, ich schreie: Was fällt dir ein?, und schüttle ihn bei den Schultern, als müsse die Antwort aus ihm herausfallen.
Parwiz lässt sich rütteln, schließt die Augen ganz und sagt: Ich hätte ihn dir doch zurückgegeben, du hättest ihn zurückgestellt beim nächsten Mal. Er hat sich so gut angefühlt, so ungeheuer gut angefühlt. So glatt.
Die werden mich anzeigen, Parwiz, sage ich und lasse dabei meine Hände auf seinen Schultern liegen. So spüre ich, dass er zittert. Ich schaue nach oben, als könne mir von dort geholfen werden, es sind aber nur Schwalben da, die ihre tollkühnen Kurven schneiden, Artistik für Fortgeschrittene, und die verirrte Schwalbe in Italien fällt mir ein: Wie ihr Herz pumpte, als sie im Fliegengitter festgekrallt hing und vor Angst flüssig kackte. Ich brauchte nur die Tür aufzustoßen: Die Rettung war einfach.
Aber hier handelt es sich nicht um Zugvögel. Ich
Weitere Kostenlose Bücher