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Unter der Hand (German Edition)

Unter der Hand (German Edition)

Titel: Unter der Hand (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dagmar Leupold
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Sitzenbleiber.
    Weißt du, sage ich nach einer längeren Gesprächspause und ziehe die Decke bis zum Hals, weißt du, was erfreulich ist? Wenn man so alt ist wie wir mittlerweile, dann spricht man nicht mehr von den eigenen Eltern, wenn man sich kennenlernt, auch dann nicht, wenn sie noch leben. Man stellt sich dem anderen nicht mehr als Abkömmling vor. Und es wird möglich, was ich mir immer wünschte: Entsprungen zu sein. Ich bin mit der Gegenwart einverstanden. Du verkörperst sie.
    Heinrich drückt meine Hand und sagt ebenso formell, als würde er in einem Formular eine Statusfrage beantworten: Das trifft zu. Und dann: Lass uns schlafen gehen.
    Ich bin glücklich, dass er nicht gesagt hat: Apropos Körper – lass uns ins Bett gehen. Das hätte Franz gesagt oder ich, das war unsere Tonspur. Er hätte es gesagt, weil er und ich dachten, diese Geschmeidigkeit oder besser gesagt: Fitness einander zu schulden. Die guten Reflexe. Eine sportliche, faire Angelegenheit, geregelt wie Bodenturnen.
    Wenn Franz und ich miteinander geschlafen hatten, war ich erleichtert: Der Nachweis war geführt, dass ich eine sexuell aktive und damit attraktive Frau bin, es gehört zum Leben und zum guten Ruf, es befördert mich mitten unter die Erfolgreichen, es macht amtlich, wie ein Stempel im Pass, dass ich einer nachgefragten Warengruppe angehöre. Wir wussten es wohl beide und gingen damit so ernst und so ironisch um, wie wir es uns leisten konnten, ohne den Pakt zu gefährden. Ich denke daran ohne Hochmut.
    Und will fortan nur noch angefasst werden von dem, der mich berührt. Das ist ein kleiner Eid auf meine neue Verfassung.
    Wir liegen im Halbdunkel des Raums und reden, unbestimmt, planlos und doch aufeinander bezogen, ich frage, weinschwer, warum mir das meiste als Kälte begegnet, woran das liege? Ich friere seit einundfünfzig Jahren. Ist es frivol, sich Wärme zu wünschen? Wo wir doch, als von allen Katastrophen Verschonte, höchstens Konflikte mit dem Arbeitgeber kennen – wenn es ihn denn gibt.
    Frivol?, fragt Heinrich.
    Und ich: Ähnelt es dann einer Buchung?
    Und Heinrich: Man muss darauf bestehen. Man muss ein Widersacher sein.
    Das Reden setzt aus, setzt wieder ein, beiläufig wie ein Luftzug. Wir können uns alles leisten, auch Zeit. Es gibt keinen Gesprächsverlauf, vielmehr eröffnet sich ein Gesprächsraum, in dem es sich, im Wortsinn, um alles Mögliche dreht.
    Vielleicht bitte ich ihn, mir seine Bemerkung vom Widersacher zu erklären, vielleicht umschlinge ich ihn auch nur und stelle mir die Unterhaltung vor, in der wiederum Heinrich, wenn man die Wortanteile trennte, ungefähr so fortführe:
    In einer kalten Gesellschaft ist Wärme eine begehrte Ware, Reisebüros kümmern sich darum, die Medien, die Medizin, die Werbung. Für den Warenumsatz ist es entscheidend, dass man die Wärme nicht selbst erzeugt; daher wird das Zutrauen in diese Fähigkeit, die wir alle besitzen oder besitzen könnten, absichtsvoll zersetzt.
    Und im Wechsel geht es weiter, vielleicht haben wir auch noch über das Scheitern gesprochen, als Nachwehen der Schulgeschichte, Heinrich könnte gesagt haben, dass er sich insofern jung fühlt, als er spät begriffen habe, dass Gelingen kein Zustand sei, sondern eine stets von Neuem an sich selbst zu richtende Bitte, die, wie jede Bitte, auch abschlägig beantwortet werden kann. Er könnte erneut gesagt haben, dass er mich liebt.
    Und es mag sein, dass ich mich, als draußen bereits die ersten Autotüren schlugen, von einer einzigen kraftvollen Armbewegung Heinrichs aufgerichtet, auf seinem Schoß niedergelassen und wiegen gelassen habe. Und erfahren habe: Auch an Land gibt es Dünung.
    Meine Arme reichen, wenn Heinrich sich aufsetzt, genau um ihn herum. Von allen Maßnahmen die schönste.
    Kurz vor dem Einschlafen, längst ist der Tag für die Erwerbstätigen in vollem Gang, erzähle ich ihm von der entwendeten Stier-Bronze und dem Verlust des Hausdienstes. Und dass ich nicht wüsste, was Parwiz bewogen haben könnte, den Briefbeschwerer einzustecken.
    Er wollte sich etwas vorübergehend aneignen, das einer anderen Welt angehört. Ausleihen, ausprobieren, wie das ist, wenn man einen unnützen Gegenstand um seiner Schönheit willen besitzt.
    Sagt Heinrich darauf, bereits schläfrig verlangsamt und legt seine Hand auf mein Gesicht, um meine Reaktion auf seine Worte zu erfassen. Sieh nicht von ihm ab.
    Zur Antwort küsse ich die Handfläche, die nach uns beiden riecht, warm ist, durchblutet.
    Nach dem

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