Unter der Hand (German Edition)
in meinem Leben einen Auftrag.
Dann mach weiter, sagt Heinrich, vielleicht kommt er – Vico oder der Auftrag – dir unterwegs ohnehin abhanden. Wie ist er denn so?
Ach, nett, ziemlich reich, möglicherweise korrupt, sich dessen bewusst und daher auf der Suche nach –
Vergebung?, fragt Heinrich
Nein, nach einem Ausgleich: Die eine Hand nimmt, die andere gibt.
Moderner Mensch, sagt Heinrich und steht auf, Bilanz und Balance im Einklang, nicht schlecht.
Soll ich nicht fahren?
Du sollst fahren und zurückkommen. Erinnerst du dich, das habe ich dir schon einmal gesagt?
Heinrich steht vor mir, er ist kaum größer als ich, und ich würde am liebsten zu ihm sagen: Stell mich fest.
Ich tue es nicht.
An der Tür, zum Abschied: ein Kuss, ein Händedruck, eine Umarmung. Jeder von uns entlässt sich in seinen Tag. Das ist normal. Mein Gesicht für eine Sekunde an seinen Hals geschmiegt: genehmigte Ablauschaktion.
Zwanzig
Ich bin aufgeregt. Ich möchte Nina eigentlich nicht treffen. Ich möchte mich verpuppen.
Welt! Hab ich doch kein Teil an dir, das meiner Seele könnte taugen
. Die Zeile aus der Bach-Kantate legt sich von allein auf meine Zunge und benimmt sich wie ein Motto.
Tu nicht so kostbar, Minna, ermahne ich mich selbst, schminke mich sorgfältig, ziehe etwas Dunkles, Schmales an, Nina soll nicht glauben, Franz habe mich wegen allgemeiner Verwahrlosung verlassen – falls er ihr überhaupt von uns erzählt und die Darstellung
Franz verlässt Minna
gewählt hat.
Die Übergabe der Weinflasche verläuft pannenfrei; ich hatte mir auf dem Weg zu Franz vorgestellt, dass sie beim Überreichen vor unseren Füßen zerschellen würde, uns beide blutig bespritzt zurücklassend, Nina mit Salzfass und Essig angerannt käme und bei meinem Anblick ausriefe: Wer denn sonst!
Tatsächlich begrüßt mich Franz lächelnd und souverän, nimmt mir den Mantel ab und führt mich an der Hand ins Wohnzimmer. Ich wäre lieber in die Küche gegangen, die kannte ich von allen Räumen am besten.
Die zwei Menschen, die auf der großen Couch nebeneinander sitzen und miteinander sprechen, springen bei unserem Eintritt auf, Franz sagt: Darf ich euch Minna vorstellen?
Nina – Minna.
Minna – Nina.
Und das ist Oliver, hallo.
Oliver ist so groß, dass ich den Kopf in den Nacken legen muss, um ihn anzuschauen. Er hat den singenden Tonfall der Badener und einen Händedruck, der Heilung verspricht. Um Nina zu begrüßen, muss ich den Kopf dagegen fast neigen, sie ist einen Kopf kleiner als ich, rundes Gesicht, wache Augen. Wie Heinrich und Anja hat auch sie dunkle Einsprengsel in heller Iris, nein, eher goldbraun, ich muss an fein gearbeitete Intarsienmosaike denken.
Nina sagt mit großem Nachdruck: Es freut mich sehr, dich kennenzulernen.
Mich auch, erwidere ich und greife nach dem Glas, das Franz mir reicht, wie nach einem Geländer. Nina lacht.
Franz erklärt, die Runde bliebe klein, er habe ursprünglich vorgehabt, weitere vier Freunde einzuladen, aber sich das als Koch nicht zugetraut. Nina sagt mit liebevollem Spott, dafür müsse er doch nur die Angaben in den Rezepten verdoppeln. Keine arithmetische Spitzenleistung. Ich weiß, sagt Franz, der ein wenig unter den Sommersprossen errötet ist, und küsst Nina auf die Wange, aber Überforderung ist eben keine mathematisch berechenbare Größe.
Soweit gefällt mir das neue Paar ganz gut.
Wir essen und trinken, ein Stimmenteppich legt sich über die Tafel, in dem unser Reden angenehm verwoben ist, gewissermaßen ein Autorenkollektiv, das zum Klappern, Klirren und Klingen der Gläser, Gabeln und Teller den Text liefert. Erst vor dem Dessert treten wir als Solisten auf, Nina erzählt von ihrer abgebrochenen Karriere am
Career Service
der Universität, ihrer Umschulung und ihrem Wechsel in die physiotherapeutische Gemeinschaftspraxis, in der auch Franz arbeitet. Ich kümmere mich lieber um die schlimmen Folgen der Haltungsfehler, sagt sie, als dass ich für die falsche Haltung beim Berufsstart auch noch werbe: Krümmt euch, bückt euch, beeilt euch, und ihr werdet was.
Ich frage nach, was um Himmels willen ein Career Service an der Universität sei? Nina schaut mich mit ihren verblüffend bunten Augen an und sagt: Eine Dienstleistung für den Kunden Student, der im Begriff ist, Dienstleister zu werden.
Und die Wissenschaft?, frage ich zurück.
Ist eine Dienstleistung, sagt Nina und kaut grimmig auf dem zarten Tafelspitz, den Franz zubereitet hat.
Irgendwann landet das Gespräch
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