Unter der Haut (Hauptkommissar Leng ermittelt) (German Edition)
hing. 6° C. Er konnte es kaum glauben. Das bedeutete für die Mittagszeit, sollte die Sonne weiter scheinen und der Wind nicht allzu heftig wehen, ein laues Lüftchen.
Leng verzichtete darauf, das Fahrrad zu nehmen, da er sein Ziel bequem zu Fuß erreichen konnte. Wenn er es geschickt anstellte, würde es ein angenehmer Spaziergang durch mehrere Parks werden, der nicht länger als zwanzig Minuten dauern sollte.
Er hatte nicht einmal die Hälfte der Strecke zurückgelegt, da wurde ihm so heiß, dass er seine blaue Kapuzenjacke öffnen musste. Darunter trug er ein cremefarbenes Hemd und einen Wollpullunder in kaffeebohnenbraun. Bevor er losgegangen war, hatte er noch einen Blick in den Spiegel geworfen und war zu dem Ergebnis gekommen, dass er recht ansprechend aussah. Er hatte sich gefragt, ob das ihm entgegengebrachte Misstrauen vom Vortag irgendeinen Einfluss auf die Wahl seiner Kleidung gehabt hatte.
Prado wartete schon auf ihn; allerdings hatte er seinen Posten nicht direkt vor dem Haus bezogen, sondern saß, ein Stück weiter die Straße hinauf, auf einem Steinpoller. Als er den Hauptkommissar sah, stand er auf und kam ihm entgegen.
„Schick siehst du aus“, sagte er zur Begrüßung, wobei er sich ein Grinsen nicht verkneifen konnte. „Willst du dich etwa an die Witwe heranmachen?“
Der Witz bewegte sich wieder einmal auf niedrigem Niveau, aber Leng verzichtete auf eine Bemerkung, weil er vermutete, dass der Besuch bei den Eltern auf Prados Stimmung drückte. Deshalb verkniff er sich auch jeglichen Kommentar, was Prados Kleidung anging. Er sah ein bisschen wie ein zu groß geratener Konfirmand aus und hätte sich wohl niemals freiwillig in einen dunklen Anzug nebst Übergangsmantel in Anthrazit gezwängt. Die Kombination gab das perfekte Outfit für einen Hinterbliebenenbesuch ab.
Die Klingel funktionierte. Obwohl sie vor dem Tor auf dem Bürgersteig standen und der Vorgarten sie von der Villa trennte, konnten sie es im Haus läuten hören.
„Hört sich an wie ein Donnerhall“, scherzte Prado.
„Wahrscheinlich habe n sie ein schwerhöriges Hausmädchen. Perfektes Personal ist ja heute selten.“
„Wohl eher stocktaub.“ Prados Annahme wurde durch die Tatsache gestützt, dass auch auf das zweite Klingeln keine Reaktion erfolgte.
Sie wollten gerade unverrichteter Dinge wieder gehen, als sich eine Frauenstimme meldete. „Wer ist da?“ fragte sie äußerst unfreundlich.
„Kripo Köln“, klärte Leng sie auf. „Spreche ich mit Frau Burghausen?“
„Ich habe jetzt keine Zeit“, fuhr sie ihn barsch an, ohne auf seine Frage einzugehen.
„Wir können Sie auch gerne aufs Präsidium vorladen. Das wird dann allerdings wesentlich länger dauern.“
Ohne eine weitere Bemerkung drückte sie das Tor auf. Als die beiden Kommissare die drei Stufen erreicht hatten, die ins Haus führten, wurde die Tür wütend aufgerissen, und eine Frau Anfang fünfzig sah von oben auf sie herab. Sie trug ein perfekt geschnittenes, schwarzes Designerkostüm, schwarze Pumps, schwarze Nylonstrümpfe und einen breitkrempigen Hut in einem ähnlichen Farbton. In ihrem Gesicht zeichneten sich Ärger und Ungeduld ab, aber keine Spur von Trauer.
„Frau Burghausen?“ fragte Leng erstaunlich freundlich.
Sie bestätigte dies mit einem, wie Prado fand, majestätischem Kopfnicken, ließ sie aber schließlich ins Haus. Widerwillig führte sie die Männer durch einen Flur, der eher einer Eingangshalle glich und dann in einen Wohnraum, in dem die gesamte Wohnung des Hauptkommissars Platz gehabt hätte. Die Möbel hatten mit Sicherheit ein Vermögen gekostet, und dennoch wirkte der Raum unpersönlich. Man hatte das Gefühl, auf einer Möbelmesse zu sein.
„Sie wissen offensichtlich bereits, was passiert ist?“ sagte der Hauptkommissar und ließ die Frage wie eine Feststellung klingen. „Wer hat Sie informiert?“
„Dr. Riegert aus der Praxis meines Mannes. Er hat im Hotel angerufen, weil ich mein Mobiltelefon und meine Mailbox ausgeschaltet hatte. Ich wollte einfach mal für einige Tage meine Ruhe haben.“
„Ich gehe davon aus, dass Sie sich am Donnerstagabend auch in Bad Ems aufgehalten haben?“
„Natürlich“, antwortete sie selbstgefällig. „Ich habe gegen 19.00 Uhr im Hotel gespeist und bin danach in mein Zimmer hinauf gegangen, weil ich einen leichten Kopfschmerz verspürte, weshalb ich mich auch früh hinlegte.“
„Und am anderen Morgen?“
„Frühstückte ich gegen acht und unternahm danach einen
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