Unter der Haut (Hauptkommissar Leng ermittelt) (German Edition)
und schrieb ihr die Adresse des Rechtsmedizinischen Instituts auf.
„Gibt es denn da irgendwelche Zweifel?“ Sie konnte ihr Erstaunen kaum verbergen.
„Nein, das nicht. Wir konnten Ihren Mann an Hand von Dokumenten wie Führerschein und Personalausweis eindeutig identifizieren, aber dies ist das übliche Prozedere.“
„Wenn wir noch Fragen haben, werden wir uns bei Ihnen melden.“ Leng verabschiedete sich förmlich, ohne Klara Burg- hausen die Hand zu reichen. Prado sagte kein einziges Wort.
„Warum haben Sie eigentlich vorher nicht angerufen?“ fragte sie an der Haustür. „Ich dachte, auch Polizeibeamte würden ihre Besuche ankündigen.“
Keiner der beiden Kommissare sah eine Notwendigkeit, ihr diese Frage zu beantworten.
„Ich hab das Gefühl, die ist froh, dass der Alte weg ist“, sagte Prado, als sie wieder auf dem Bürgersteig standen.
„Ich möchte mir ein so schnelles Urteil nicht erlauben. Manche Menschen reagieren, wenn sie unter Schock stehen, nicht immer so, wie wir es vielleicht erwarten.“
„Schock?“ Die Stimme des Kommissars ging auf einmal um eine halbe Oktave nach oben. „Die war so kalt, dass mir fast das Zäpfchen im Hals gefror.“
„Wäre es dir lieber gewesen, sie hätte uns etwas vor-gespielt?“ fragte Leng belustigt.
„Ich wette, sie hat uns etwas vorgespielt, auch wenn sie keine Trauer geheuchelt hat.“
„Komm, lass uns aufhören damit und lieber den Feierabend einläuten“, schlug Leng vor. „Sehen wir uns heute Nachmittag im Spitz ?“
„Bestimmt sogar. Nach dem Besuch bei meinen Eltern brauch ich ein wenig Entspannung und ein paar kühle Biere.“
„Was ist mit euerem Kater? Ist der wieder gesund?“
„Es sieht so aus. Zumindest frisst er wieder wie blöd.“
„Dann wird Susanne also mitkommen?“
„Davon gehe ich aus.“
Leng verabschiedete sich von Prado, als sie bei dessen Auto angekommen waren, das er in einer Seitenstraße geparkt hatte.
„Soll ich dich nicht mitnehmen?“
„Nicht nötig. Der Spaziergang hierher hat mir so gut getan, dass ich denselben Weg durch die Parkanlagen zurückgehen werde.“
Was er dann aber doch nicht tat. Nachdem er den ersten Park durchquert hatte, ging er schnurstracks in Richtung Zoobrückenauffahrt. Er nahm den Fußgängerüberweg, der in hohem Bogen die Schnellstraße überspannte, ging an der Baustelle vorbei, wo bis vor wenigen Monaten das Eis- und Schwimmstadion gestanden hatte, das, weil marode, abgerissen werden musste und lenkte seine Schritte dann in Richtung altes Fort, das einst zum inneren Ring einer gigantischen Befestigungsanlage gehört hatte, die 1816 unter preußischer Herrschaft errichtet worden war.
Der Hauptweg entlang der alten Mauern wurde von alten Bäumen flankiert. Dazwischen gab es überall Wiesen, in denen sich die ersten Krokusse zeigten. Leng erinnerte sich an eine Zeile aus einem Gedicht von William Wordsworth, in dem es hieß
Dull would he be of soul who could pass by
A sight so touching in its majesty
Stumpf wär’ ein Mensch, der hier vorübergeht
und nicht erlebt des Anblicks Majestät.
Und tatsächlich: Wer hier zwischen den riesigen Bäumen entlang schritt und unberührt blieb, in dessen Seele musste es finster aussehen. Im Frühling, wenn die Gehölze ihr erstes Grün austrieben, der Mohn sich leuchtend rot und gelb präsentierte und die verschiedenen Blumen die Wiesen in Blütenteppiche verwandelten, mochte man wieder an das Paradies glauben.
Lengs Eindrücke verwischten sich, als er die Agneskirche erreichte und von den lärmenden Eindrücken der City umfangen wurde. Die Zeiger auf dem Zifferblatt des mächtigen Tur-mes zeigten 14.00 Uhr. Es blieben ihm noch zwei Stunden, Zeit genug für ein Käsebrötchen und eines mit Parmaschinken. Danach wollte er in aller Ruhe die Zeitung lesen, über der er dann wahrscheinlich einschlafen würde.
9
Er hätte früher kommen sollen. Schon zehn Minuten wären ausreichend gewesen, denn gerade in dem Moment, als Leng sein Stammlokal erreichte, schob sich ein Pulk von zehn Leuten durch den Eingang und verteilte sich auf die wenigen, noch freien Schemel im Thekenbereich.
Wie hatte er nur vergessen können, dass der 1. FC Köln heute spielte. Seit der Verein wieder in die Erste Liga aufgestiegen war und die meisten Begegnungen samstags stattfanden, war es im Spitz deutlich voller geworden. Ihm blieb nichts anderes übrig, als sich zwischen zwei junge Männer zu quetschen, die sich an dem einzigen Stehtisch breit
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