Unter die Haut: Roman (German Edition)
verrückt bin? Vielleicht sogar gefährlich?«
»Wenn du wissen willst, ob ich glaube, dass du plötzlich durchdrehen und anfangen könntest, vom Dach eines Hauses auf Passanten zu schießen, dann lautet die Antwort nein. Du weißt, dass es nicht so ist.« Keith setzte sich auf die Ecke von Vincents Schreibtisch und ließ ein Bein baumeln. Er begann bereits zu bereuen, dass er überhaupt davon angefangen hatte, und rieb sich mit den Händen übers Gesicht. Aber jetzt war es zu spät für einen Rückzieher, und vielleicht musste es ja auch einfach einmal gesagt werden. Er sollte es also besser gleich hinter sich bringen, bevor die gesamte Abteilung eintrudelte. Er holte tief Luft und sah Vincent in die Augen. »Aber ich glaube, dass dein Frauenbild ziemlich verzerrt ist, seit du diesem Luder auf den Leim gegangen bist. Anna macht sich deshalb auch schon Sorgen. Und bevor du damit ankommst, ich weiß, dass du ein Profi bist, Vince. Ich rede nicht davon, wie du mit Frauen umgehst, wenn du im Dienst bist. Ich rede von deinem Privatleben.«
»Nur weil ich nicht jedem wackelnden Hintern nachrenne, der meinen Weg kreuzt?«
»Du siehst den wackelnden Hintern ja noch nicht einmal, Alter.«
»Oh doch, das tu ich. Ich greif bloß nicht zu. Und mach dir nur keine Gedanken, das angestaute Testosteron könnte eines Tages einen Anfall von Wahnsinn bei mir auslösen, du kannst ganz beruhigt sein, ich nehme die Sache selbst in die Hand …«
Keith grinste. »Im wahrsten Sinne des Wortes.«
Vincent entspannte sich ein wenig und erwiderte halbherzig Keith’ Grinsen. »Tja, du musst zugeben, dass Enthaltsamkeit heutzutage nicht die schlechteste Alternative ist. Auf jeden Fall wesentlich besser als das russische Roulette, das ich damals in der ersten Zeit nach der Trennung von LaDonna gespielt habe.«
»Das will ich ja auch gar nicht bestreiten.« Keith konnte sich sehr gut an diese Zeit erinnern, und in seinen Augen war die eine Reaktion ebenso übertrieben wie die andere. Er ging jedoch nicht weiter darauf ein. Was ihm wirklich Sorgen machte, oder Hoffnung – er konnte sich nicht recht entscheiden -, war die seltsame Art, wie Vincent auf diese Pennington reagierte. »Aber mal ehrlich«, fuhr er fort. »Findest du wirklich, dass du deine Nachbarin gleich für eine Prostituierte halten solltest, nur weil sie gern ihre Beine zeigt und in deiner Gegenwart nicht keusch den Blick senkt?«
»Warum zum Teufel ist sie dann erst um diese Zeit nach Hause gekommen?« Noch während er die Worte aussprach, kam sich Vincent wie ein Vollidiot vor. Du lieber Gott, er hatte sich selbst schon gefragt, ob das, was er tat, eigentlich noch vernünftig war, dennoch versuchte er, es zu rechtfertigen. Der ungläubige Blick, mit dem Keith ihn ansah, machte die Sache auch nicht besser.
»Na, vielleicht arbeitet sie ja im Schichtdienst, Alter«, sagte er. »Vielleicht hatte sie eine Verabredung. Vielleicht fragt sie sich, warum du um diese Zeit nach Hause kommst.« Er ließ seine Fingergelenke knacken und sah seinen Freund eindringlich an. »Mensch, Vince, jetzt reiß dich mal zusammen. Nach allem, was du weißt, könnte die Frau Hirnchirurgin sein! Wir reden hier nicht über einen Teenager, oder?«
»Nein.« Vincent rief sich ihr Bild ins Gedächtnis, und er ärgerte sich darüber, wie leicht ihm das gelang. »Sie ist um die sechsundzwanzig, siebenundzwanzig.«
»Meinst du nicht, dass sie in diesem Alter ein Recht auf ein Sexualleben hat? Weißt du, Frauen können das tun, ohne dass sie deswegen gleich Huren sind oder es so treiben wie LaDonna. Da draußen laufen nicht viele Frauen herum, die in diesem Alter noch Jungfrau sind. Anna war es nicht, als ich sie kennen gelernt habe, und ich war auch nicht so dumm, es zu erwarten.«
»Schon gut, schon gut – ich hab’s kapiert. Könnten wir uns jetzt an die Arbeit machen?« Vincent nahm einen Bleistift und klopfte damit nervös auf die Schreibtischplatte, den Blick geistesabwesend auf den rosafarbenen Radiergummi gerichtet. Plötzlich hielt er inne, nahm den Stift in beide Hände und starrte auf seine Daumen, die sich auf der Unterseite des Stifts berührten. Mit einer abrupten Bewegung brach er ihn mittendurch und sah zu Keith hoch. »Ich weiß, dass du Recht hast, Keith, in Ordnung?« Er warf die beiden Teile in den Papierkorb und fuhr sich mit den Fingern durch die Haare. »In den vergangenen zwei Wochen habe ich exakt dieses Gespräch ununterbrochen mit mir selbst geführt.«
»Ach wirklich?«
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