Unter die Haut: Roman (German Edition)
kannte, dass er glaubte, sie würde ihren Herzenswunsch aufgeben, nur um ihm das Leben so bequem wie möglich zu machen, dann war er ganz offensichtlich nicht der Richtige für sie.
Also hatte sie ihr Begehren unterdrückt, und wenn sie ehrlich war, war ihr das in den vergangenen Jahren gar nicht einmal so schwer gefallen. In ihrem praktischen Jahr hatte sie unter permanentem Schlafmangel gelitten, und sie hatte es, wenn es hoch kam, auf drei unverbindliche Verabredungen gebracht, und die Assistenzarztzeit war kaum besser gewesen. Sie war schon glücklich gewesen, wenn sie es geschafft hatte, sich zwischen ihren Vierundzwanzigstundenschichten hin und wieder mit einer ihrer Cousinen zum Essen zu treffen, bevor sie nach Hause taumelte und ins Bett fiel. An den wenigen Abenden, an denen sie freihatte und lange genug die Augen offen halten konnte, hatte sie sich meistens mit dem einen oder anderen ihrer Verwandten in Onkel Macks Bar auf ein Bier getroffen und ein wenig gesungen.
Keine Frage, sie war reif für eine Beziehung. Das erklärte wahrscheinlich auch, warum sie den Blödmann von nebenan plötzlich so begehrenswert gefunden hatte. Aber es gab ihm ganz bestimmt nicht das Recht, in der einen Sekunde ihre Lust zu wecken, nur um sie in der nächsten sofort wieder abzuwürgen. Für das, was er gesagt hatte, gab es keine Entschuldigung, soweit es sie betraf, hatte er nicht den geringsten Grund gehabt, sie so dumm anzureden. Sie war allerdings bereit, ihm einen mildernden Umstand zuzugestehen – die nicht zu leugnende Lebhaftigkeit ihrer Familie.
Sie war im Schoß einer Familie aufgewachsen, die fest zusammenhielt und in der es nur wenige Geheimnisse gab. Niemand, mit Ausnahme von Terry vielleicht, schaffte es, längere Zeit etwas für sich zu behalten. Meistens war das kein Problem, da in ihrer Familie jeder ein aufrichtiges Interesse an den Belangen des anderen hatte. Keiner von ihnen war gehässig, und die allen eigene Neugier verstärkte das unleugbar vorhandene Gefühl von Zusammengehörigkeit und Vertrautheit sogar noch. Es gab allerdings auch Zeiten, in denen Ivy es fast als Fluch empfand.
Sie zweifelte keinen Augenblick daran, dass ein Gespräch mit Jaz vor einigen Wochen ihre Cousins und Cousinen auf die Idee mit dem unmöglichen Einweihungsgeschenk gebracht hatte. Sie hatte sich darüber ausgelassen, dass sie es jetzt vielleicht endlich hinbekommen würde, ihren Dienst so zu organisieren, dass sie regelmäßige Arbeitszeiten hatte – zumindest so regelmäßig, wie es in einer Unfallaufnahme eben möglich war. Sie hatte außerdem unvorsichtigerweise angedeutet, dass sie zum ersten Mal seit einer Ewigkeit eine gewisse Möglichkeit sah, eine feste Beziehung mit einem Mann einzugehen – eine Beziehung, für die ihr mittlerweile genug Zeit blieb, um sie zu pflegen. Und, so hatte sie Jaz erklärt, dieses Mal würde sie dafür sorgen, dass es besser lief als die Male zuvor.
Hätte sie nur für fünf Cent Verstand besessen, dann hätte sie anschließend die Klappe gehalten. Stattdessen hatte sie sich mit ihren nächsten Worten erst so richtig reingeritten. »Und Sex!«, hatte sie gesagt. »Mein Gott, Jaz, hast du eigentlich eine Ahnung, wie lange es her ist, seit ich etwas getan habe, das auch nur eine entfernte Ähnlichkeit mit Sex hat?«
Jaz hatte das wahrscheinlich sogleich Sherry erzählt, die wiederum hatte es wahrscheinlich ihrem Bruder Terry erzählt, der es wahrscheinlich niemandem erzählt hatte, aber andererseits war Sherry nicht gerade für ihre Verschwiegenheit bekannt, und sie hatte es bestimmt noch jemand anderem erzählt, der es dann seinerseits … die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Und ehe man sichs versah, war man bis an sein Lebensende mit Kondomen versorgt.
Auch wenn sie es nur ungern zugab, es war nachvollziehbar, dass ihr Nachbar es ein wenig befremdlich gefunden hatte, an der Tür von einer Frau mit einer Schale Kondome im Arm empfangen zu werden, die ausgereicht hätten, um der gesamten Besatzung der USS Constitution Safer Sex zu ermöglichen. An seiner Stelle wäre sie vermutlich auch konsterniert gewesen. Sie war sogar bereit, Verständnis dafür zu zeigen, dass er infolgedessen auf den Gedanken kam, sie müsse ein regeres Liebesleben haben als die meisten Leute.
Wofür sie jedoch kein Verständnis hatte, war, dass er daraus solche voreiligen Schlüsse gezogen hatte. Wie viele Leute würden wohl eine Schale voll Kondome sehen, einen Blick auf eine Gruppe vollständig
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