Unter die Haut: Roman (German Edition)
Angst?«
Fassungslos erwiderte Ivy seinen Blick, und das Lachen, das sie von sich gab, klang bitter. »Mein Gott, Vincent, wo soll ich anfangen?« Fang ich damit an, dass ich mir ernsthaft Entschuldigungen für dein Verhalten überlege, obwohl du mich einmal so verletzt hast und ich mir geschworen habe, dir nie eine zweite Gelegenheit dazu zu geben?
Nein. Das würde sie ihm ganz bestimmt nicht auf die Nase binden.
Stattdessen drehte sie den Spieß um. »Ich könnte dich dasselbe fragen, nicht wahr? Wovor hast du so viel Angst?«
Sein Griff um ihren Arm verstärkte sich für einen kurzen Moment, doch sein Gesicht war plötzlich völlig ausdruckslos. »Ich habe keine Ahnung, wovon du redest«, erklärte er steif.
Genau diese Antwort hatte sie erwartet, aber das änderte nichts an ihrem Ärger und ihrer Enttäuschung. »Nein, natürlich nicht.« Sie löste seine Finger von ihrem Arm und sah ihm in die Augen. »Warum belassen wir es dann nicht einfach dabei?«
Das wäre wohl das Beste, stimmte er ihr innerlich zu. Trotzdem hörte er sich sagen: »Nein, verdammt noch mal, das werden wir nicht tun. Ich will wissen, was du damit meinst.«
Sie konnte ja schlecht fragen: »Bist du in der Nacht, die wir miteinander verbracht haben, deshalb wortlos verschwunden, weil du es mit der Angst gekriegt hast?« Stattdessen sagte sie: »Ich rede davon, dass du einfach aus dem Bett springst und die Flucht ergreifst, Vincent. Wie viele Frauen hast du schon verführt, nur um zu verschwinden, sobald du bekommen hattest, was du wolltest?« Sie hielt den Atem an, plötzlich kamen ihr Zweifel an ihrer vermeintlichen Erkenntnis. Was, wenn er sagte: »Dutzende, Baby, also was willst du?«
Sie machte sich auf das Schlimmste gefasst und war deshalb überhaupt nicht darauf vorbereitet, als er statt einer Antwort den Arm um ihre Taille legte und sie an sich zog. Mit der anderen Hand umfasste er ihren Nacken und hielt ihren Kopf mit eisernem Griff fest, als er seinen Mund auf ihren presste.
Es war ein Kuss voll Zorn, Verlangen, Frustration. Er war fordernd und forschend, und voll glühender Leidenschaft, die das Blut in ihren Adern zum Sieden brachte.
Sie konnte sich nicht dagegen wehren. Sie hatte es geschafft, sich einzureden, dass er nicht annähernd so gut gewesen sein konnte, wie sie es in Erinnerung hatte, aber sein jäher Überfall auf ihren Mund und ihre Sinne ließ diese Überzeugung wie ein Häuflein Asche in sich zusammenfallen. Ivy konnte nichts anderes tun, als seinen Kuss zu erwidern, sie krallte ihre Finger in sein Revers, um nicht den Halt zu verlieren.
Allzu bald riss er seinen Mund los und schob sie von sich, hielt sie auf Armeslänge von sich weg. »Keine einzige«, sagte er heiser und schüttelte sie leicht. »Okay? Bist du jetzt zufrieden? Vor dir habe ich drei Jahre im Zölibat gelebt.«
Im ersten Augenblick brachte sie seine Worte nicht mit der Frage in Zusammenhang, die sie ihm gestellt hatte. Dann starrte sie ihn mit offenem Mund an.
Ihr ungläubiger Gesichtsausdruck machte ihn gereizt, und er war wütend auf sich selbst. Himmel, wie hatte er sich bloß darauf einlassen können? Sie hatte ihm die Chance geboten, es auf sich beruhen zu lassen, aber nein, sein Ego hatte diesen verächtlichen Unterton in ihrer Stimme ja nicht ertragen können, und er musste das Ganze noch weiter treiben, nicht wahr?
Voll Selbstverachtung ließ er sie los und fuhr sich mit den Fingern durch die Haare. Die verspannten Muskeln in seinem Nacken massierend, wandte er ihr den Rücken zu.
Ivy sah ihn an, seinen gebeugten Kopf, seine gebräunte Hand, den Stoff seines Jacketts, der sich über die harten Muskeln spannte, und flüsterte: »Warum?«
Er verharrte mitten in der Bewegung und warf ihr einen Blick über die Schulter zu. »Warum ich im Zölibat gelebt habe?«, fragte er kühl. »Warum du? Warum ich nicht geblieben bin?«
»Ja!«
Er ließ die Hand sinken, drehte sich um und sah sie seufzend an. Mit einem Blick nach links und rechts in den schwach beleuchteten Flur fragte er: »Kann ich vielleicht reinkommen?«
»Was? Oh!« Sie hatte völlig vergessen, wo sie sich befanden: im Flur vor ihrer Wohnungstür, von der er sie weggezogen hatte, um sie zu küssen. Sie merkte, dass sie rot wurde, und trat hastig einen Schritt zurück. Vincent schloss die Tür hinter sich und folgte ihr in die Küche, wo sie sich zu ihm umdrehte und ihn ansah. »Willst du einen Kaffee?«, fragte sie.
Was er wirklich wollte, war, irgendwo zu sein, nur
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