Unter dunklen Schwingen - Unter dunklen Schwingen
plötzlich schmiss sie ihr fettes Hinterteil auf den Bettrand, beugte sich über ihn und schaute ihm in die Augen. »Du musst gesund werden, hörst du, Firminus Becket? Lass dir nicht einfallen, dich vor Arbeit zu drücken. Ich brauche dich hier.«
Firm las Angst in ihrem Blick, der unstet und glasig wirkte. Hatte Margarete Graft, die knurrende Maggie, etwa geweint? Lag etwas Hysterisches, Gehetztes im Ausdruck ihrer Augen?
»Wenn du nicht spurst, lasse ich dich hier verhungern und verdursten und verkaufe deinen Leichnam an den Seifensieder. Hörst du, was ich sage?« Sie schaute ihn noch einen weiteren, verbitterten Moment an, sah ihm von einem ins andere Auge, als vergewissere sie sich, dass die Erkenntnis sich in beiden fände, dann stand sie auf und stampfte aus dem Zimmer. Die Tür fiel bedächtig langsam hinter ihr ins Schloss.
Etwas stimmte nicht, das wusste Firminus instinktiv, doch er kam nicht dahinter, was es war. Es fiel ihm schwer, klare Gedanken zu sammeln, da sein Schädel brummte und es ihm große Mühe bereitete, überhaupt zu atmen. Dennoch versuchte er es und wandte viel Kraft auf, um seine Überlegungen wie einzelne überreife Früchte aus dornigem Gestrüpp heraus zu ernten.
Es dehnte sich zu Stunden, und das Unterfangen gestaltete sich schwerer und schwerer, denn der Durst plagte ihn furchtbar. Maggie hatte ihm nicht einmal etwas zu trinken gegeben, und das, obwohl sie seinen Tag stets so eröffnete. Firm wünschte sich nichts sehnlicher, als rufen oder irgendwie anders auf sich aufmerksam machen zu können, doch nichts wollte recht gelingen. Im Grunde musste er froh sein, dass es ihm derzeit gelang, die Augen zu bewegen, und auch die Lippen ein wenig. Doch es kostete ihn viel Kraft.
Irgendwann begann es zu regnen. Es erschien ihm fast wie Hohn, verstärkte es doch seinen Durst noch.
Aber das prasselnde Geräusch der Tropfen, wie sie an das blinde Fenster klopften, schärfte seine Sinne. Firm fiel auf, wie still es im Haus geworden war. Zumeist verhielten sich die Kinder von Maggie ruhig, wussten sie doch, was ihnen blühte, wenn sie einen Aufstand begingen, dennoch brach hin und wieder ein Zank aus, Murmeln kullerten über den Boden, jemand fiel hin, oder die Größeren unter ihnen kamen von ihren Beutezügen wieder. Aber heute war es nicht so. Es war still. Viel zu still.
Zuweilen vernahm er Regungen, doch sie erschienen ihm viel zu bedacht, um zu einem Heim voller Kinder zu gehören. Die Bohlen knarrten leise unter der einen Bewegung, oder Scharniere wimmerten nach der anderen, doch alles klang verhohlen. Dann war es längere Zeit still. Abnorm still, dass auch der Regen entfernt und sachte klang.
All dies reichte irgendwann hin, dass Firminus schläfrig ward.
* * *
Als er die Augen wieder aufschlug, war es beinahe finster in seinem Zimmer. Und dennoch lauerte eine bleiche, matte Helle irgendwo, die kaum ausreichte, um den Blicken Halt an Konturen und Flächen bieten zu können. Es erschien Firm wie ein weit entfernter Tag, der jenseits des Glases leise das Weite suchte. Er sah den Regen in Wellen und Schlieren von seinem Fenster rinnen. Firm spürte sengenden Durst und ein gemeines Graben in seinem Bauch, welches vom Hunger herrührte. Ein Keuchen entrang sich seiner, und es erschreckte ihn fast, war es doch der erste Laut seit jenem weit entfernten Tag. Ermutigt vom Klang seiner Stimme, wollte er versuchen, sich klarer bemerkbar zu machen, doch es ward sogleich vereitelt.
Hatte sich dort soeben eine Schwade vor seinem Mund gebildet? Firminus röchelte, und ein weißer Dunst verließ auch diesmal seinen Rachen. War es so kalt hier? Den eindringlichen Frost spürte er nicht. Oder war er gar schon so verkühlt, dass er deshalb die Kälte nicht mehr wahrnahm? Er zitterte aus Furcht vor den Zuständen, denen er ausgeliefert.
Er hielt den Atem an, damit er zu lauschen vermochte. Es war unredlich ruhig. Etwas war im Argen, das wusste Firminus Becket augenblicklich. Wenn den Kindern etwas geschehen war, erklärte es das Verhalten von Margarete Graft ihm gegenüber. Doch wenn ihr etwas zugestoßen war, was mochte dann passieren? Würden die Kinder ausrücken und ihrem Gefängnis entfliehen? Die Älteren bestimmt, doch die Jüngsten und die Kleinen? Die Schwachen, die Hilflosen, was mochte mit ihnen geschehen? Sie würden schreien oder weinen vor Angst. Statt dessen war es still.
Firm mühte sich, den Kopf zur Tür zu wenden, allein das Vorhaben ward zu einer großen Anstrengung. Er bot
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