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Unter dunklen Schwingen - Unter dunklen Schwingen

Unter dunklen Schwingen - Unter dunklen Schwingen

Titel: Unter dunklen Schwingen - Unter dunklen Schwingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alisha Bionda
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Pöbels ausgesetzt war. Fast verspürte er so etwas wie Mitleid für den riesigen Missetäter.
    »Ich sah ihm ins Gesicht«, sagte Maggie mit unverhohlenem Unbehagen in der Stimme. Sie klang ungewöhnlich leise. Im Nebenzimmer schrie eines der Kleinwüchsigen, doch sie reagierte nicht. Es war wie eine andere Wirklichkeit, die durch die Weite eines Traumes zu ihnen herüberdrang. »Es war karg und wüst, aber irgendwie seltsam ...«
    Sie überlegte, schaute einen Augenblick über ihre Schulter zur Tür, als erwäge sie, nebenan für Ruhe zu sorgen, fuhr dann aber leise und bestimmt fort: »Er hatte etwas von einem Kind in den Augen. Ein Staunen. Vielleicht erstaunte er sich, dass so viele zu seiner Hinrichtung gekommen waren. Damit hatte er wohl nicht gerechnet. Dennoch ... es lag irgendwie auch Freude in seinem Starren. Das war wirklich absonderlich anzuschauen.«
    Firm tat es im Geiste, und es ängstigte ihn, wie klar und lebendig er es vor sich sah.
    »Stell dir nur mal vor, er überragte die Menge wie ein Turm. Die Charlies an seiner Seite gingen trotz ihrer Helme ihm nur bis zur Hüfte. Und ich habe zum ersten Mal gesehen, dass die Constables Angst hatten.« Sie lachte leise, doch es klang nicht halb so gemein wie sonst. »Dann brachten sie ihn nach oben. Der Kaplan sprach ein paar Worte, die ohnehin niemand verstanden hat, und Hangman Willi zog ihm die Kapuze über den Kopf. Und was soll ich dir sagen, Firminus, der riesige Kerl fing das Zetern und Weinen an. Wie ein Kind klang das. Alles um mich herum verstummte, und für einen Augenblick hörte man nur dieses alberne Blöken. Der bereute alle hundert Morde auf dem Schlage, das schwöre ich. Er zappelte und versuchte, sich loszureißen, und bei der Krone, er hätte es geschafft, wenn Willi nicht flugs den Hebel umgelegt.«
    Die Freude an ihrer Erzählung kehrte zu Margarete Graft zurück, und es war annähernd eine leise Euphorie, die sich ihrer bemächtigte.
    Firm zitterte.
    »Klappe auf und da fiel das lange End lang hin.« Sie kicherte und knurrte abschließend wie ein Hund. »Er soll noch gezuckt haben, als die meisten schon vom Platz waren oder bereits Andenken und die gedruckten Geständnisse des Mörders kauften. Was so einer groß zu gestehen hat, he?« Maggie stopfte Firminus einen weiteren Löffel Brei in den Mund und öffnete dabei den ihren, als esse sie ebenfalls.
    »Weißt du, wie die Presse ihn jetzt nennt? Nicht mehr ›der letzte Heimgang‹, nein: ›Little Shepherd‹. Das muss man sich mal vorstellen! Als hätten sie noch Mitleid mit diesem Bastard.«
    * * *
    Was folgte, war eine lange und schlaflose Nacht. Firminus wälzte sich in Gedanken versunken hin und her und schwitzte dabei, dass er es zu riechen vermochte. Er fragte sich, was Little Shepherd dazu getrieben haben mochte, so vielen Kindern das Leben zu nehmen und noch dazu auf solch böswillige Weise. Kinder waren schwache, hilflose und armselige Kreaturen, die eine solche Missetat nicht hervorriefen. Natürlich waren viele von ihnen gezwungen, sich mit Diebstählen, Bettelei und Prostitution eine Münze zu verdienen, und womöglich gehörte dies gerichtet, aber diese Morde hatten nicht viel gemein mit einer Strafe – eher mit einer stillen Sprache, deren Aussage sich ihm nicht eröffnete.
    Nach dem, was Margarete Graft ihm erzählt hatte, war er auch nicht länger überzeugt davon, dass Little Shepherd es aus reiner Freude oder gar aus einem Instinkt heraus getan hatte. Der Gedanke, er habe sich auf diese absonderliche, abartige Weise mitteilen wollen, ließ Firm keine Ruhe mehr. Er bemerkte nur wenig, was um ihn herum geschah. Er hörte, wie Margarete Graft zweimal noch Besuch bekam, den Streit zweier Jungen – Firm vermeinte Abe und Corry herauszuhören – zu schlichten hatte und schließlich selbst das Haus verließ, um lange nach Einbruch der Dunkelheit zurückzukehren. Firminus fragte sich, wieso keines der anderen Kinder zu ihm schlich, doch er musste annehmen, dass Maggie es verboten.
    Zu später Stunde brachte sie ihm noch etwas zu trinken, sprach dabei kein Wort und gähnte nur auffällig, da er ihr nicht schnell genug zu trinken schien. Erst danach kehrte Ruhe im Heime Graft ein. Firm starrte auf die finstere Innenseite seiner Augenlider und fragte sich, wie es nun mit ihm weitergehen sollte. Er fürchtete sich, da er erkannte, dass Maggie ihn erwürgen würde, wenn sie seiner Pflege überdrüssig ward. Und das mochte schneller geschehen, als es im Augenblick den

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