Unter dunklen Schwingen - Unter dunklen Schwingen
gehen? Wenn es nicht bald gelänge, den Vampiren Einhalt zu gebieten, würden sie die drei Dörfer entvölkern.
Die vielen Krankenbesuche kosteten den Professor viel Kraft. »Ein Dutzend Leute ist bereits krank, und es werden immer mehr«, sagte er. »Es ist nicht nur die Gräfin, die ihnen die Lebenskraft aussaugt. Manche berichten von einem Mann, der sie ansprang und biss. Zweifellos ist das jener Diener Eberhard, den sie in ihre Schlingen lockte. Und da sind noch andere. Wir müssen alle Gräber auf dem Friedhof öffnen und sehen, welche einen Vampir beherbergen. Ich weiß, das klingt grausam, aber es ist die einzige Möglichkeit, wie wir dieser Pest ein Ende bereiten können. Wir müssen mit dem Pfarrer sprechen. Er muss seine Zustimmung geben.«
* * *
Der Professor schlug vor, nicht mit dem Auto nach Dürnstätten zu fahren, wo der Pfarrer wohnte, sondern lieber durch die Wälder und Wiesen zu reiten. Jan lehnte sofort ab – er könne nicht reiten und jetzt sei nicht die Zeit, es zu lernen. Aber Julia zeigte sich aufgeschlossener. Sie war als junges Mädchen eine Pferdenärrin gewesen und war eine gute Reiterin. Markus und Elsa kamen mit, da Markus ohnehin vorgehabt hatte, dem Pfarrer einen Anstandsbesuch abzustatten. Auch der junge Carl Bühler war mit von der Partie.
Der Tag war frisch und sonnig. Carl wies ihnen den Weg. Er ritt voran, erst die Forstsraße entlang, auf der sie nach Heidebrock gekommen waren, dann einen ausgetretenen Pfad, der geradewegs in das Herz des Waldes führte. Es war dämmerig hier. Die Sonne streifte gerade nur die obersten Wipfel der schwarzen, hohen Tannen. Ein dumpfer Geruch nach Moos und trockenen Nadeln umfing sie. Manchmal raschelte etwas Unsichtbares im dürren Unterholz.
Julia war beeindruckt von der feierlichen Aura dieses uralten Waldes. Sie träumte vor sich hin, und erst nach einer Weile wurde ihr bewusst, dass das Sonnenlicht von den Wipfeln verschwunden war. Wie Rauchfahnen quollen dünne Nebelschleier zwischen den Bäumen hervor, wurden rasch dichter und verlegten den Blick auf den Pfad. Tat das Pferd einen Schritt vorwärts, so schlossen sich sofort dichte Ranken hinter ihm und versperrten den Weg zurück. Die grimmigen Tannen schienen sich zu bewegen. Sie rückten nah aneinander und bildeten eine undurchdringliche hölzerne Wand.
Julia spürte, wie ein Gefühl von Angst und Beunruhigung sie überkam. Hier stimmte etwas nicht!
Ihre Begleiter merkten es auch. Erschrocken zügelten sie die Pferde. »Ist das eine Falle, die uns die Gräfin Samantha gestellt hat, oder eine Bosheit des Waldes?«, rief Markus laut aus.
Es dauerte nicht lange, da war der Nebel um sie so dicht, dass sie absteigen und die Pferde am Zügel führen mussten, während sie sich Schritt für Schritt den verwachsenen Weg entlangtasteten. So kamen sie nur sehr langsam vorwärts.
Endlich – nachdem sie sich stundenlang durch den Wald gekämpft hatten – lichtete sich der Nebel wieder. Der Pfad trat deutlich erkennbar hervor. Julia atmete vor Erleichterung tief durch.
Da riss sie plötzlich die Stimme des Professors aus ihren Gedanken. »Seht doch! Seht!«, rief er erschrocken aus. »Die Sonne steht schon tief im Westen!« Er deutete mit der Hand auf den rotgoldenen Glanz, der zwischen den Stämmen hervorschimmerte. »Hier ist ein böser Zauber am Werk! Das war kein gewöhnlicher Nebel. Es ist viel später, als wir dachten. Jetzt kommen wir in die Nacht hinein!«
Erschrocken hielten alle ihre Pferde an und sahen sich um, wie weit es noch bis zum Waldrand sein mochte, aber sie konnten nur mächtige, borkige Stämme und dürres Unterholz erspähen.
»Samantha hat uns in diesem Wald gefangen«, flüsterte Carl Bühler. »Wir kommen vor Einbruch der Dunkelheit nicht mehr hinaus. Das heißt, dass wir schutzlos gegen die Vampire sind.«
»Nicht gänzlich«, warf Jonathan Pike ein. »Wir sind zu fünft, wir haben hier genügend Holz für Feuer, und notfalls fällt mir schon der eine oder andere Trick ein. Es ist besser weiterzureiten, solange es geht. Vielleicht finden wir einen günstigen Platz für ein Lager.«
»Vor kaum einer halben Stunde«, sagte Carl, »überquerten wir einen Hügel mit einer Lichtung darauf. Wir sollten dort hinreiten, dort können sie uns wenigstens nicht aus den Schatten heraus anfallen.«
Die anderen stimmten zu. Eine Weile ritten sie im Gänsemarsch den schmalen Pfad entlang. Langsam wurde der Weg steiler. Es dauerte nicht lang, da fanden sie sich auf einer
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