Unter dunklen Schwingen - Unter dunklen Schwingen
einem Teil des Friedhofs, der nicht mehr benützt wurde.
»Hier, grabt auf«, befahl Markus den beiden Bauern, die mit Schaufeln bereitstanden. Er wies auf das erste Grab in der Reihe. Auf dem Gedenkstein waren der Name Peter-Paul Horden und das Todesdatum zu lesen, 1807 .
Viel werden sie in diesem Grab nicht mehr finden , dachte Julia. Nach so langer Zeit würden höchstens noch die großen Knochen der Oberschenkel und der Schädel vorhanden sein.
Alle Bewohner von Dürnstätten drängten sich vor dem Zaun und gafften angespannt das Grab an, an dem die Männer werkelten. Auf einer Wiese neben dem Friedhof war ein Scheiterhaufen aus trockenem Holz errichtet worden. Julia konnte kaum glauben, was sie in der Nacht erlebt hatte. Der Tag war so unschuldig hell, die Sonne so golden. Vögel zwitscherten in den Büschen, die den Friedhof umgaben.
Schaufel um Schaufel flog die Erde aus dem Grab. Es dauerte nicht lange, da tauchten in der Tiefe die Falten eines Tuches auf, schmutzig und blutbefleckt. Eine Hand kam zum Vorschein, weiß und aufgedunsen. Dann lag die Leiche des vor fast zweihundert Jahren verstorbenen Peter-Paul Horden vor ihnen.
Die Leute rundum schrien auf. Was sie sahen, war die Leiche eines Mannes, so unversehrt, als wäre sie eben erst begraben worden!
Die Totengräber stiegen hinab und hoben den Toten aus dem Grab, legten ihn auf dem frischen Erdhügel nieder. Erdbrocken hingen in seinem Haar, die Zipfel des grauweißen Leichenhemdes flatterten im Wind. Keine Spuren von Verwesung waren zu erkennen. Erregtes Gemurmel ging durch die Reihen der Bauern. Jeder konnte sehen, dass der Mann ein Vampir war. Sein Leib war fett, seine Lippen rot und voll, die Wangen kräftig rot gefärbt. Im Mundwinkel klebte getrocknetes Blut. Julia erkannte mit Entsetzen die Gesichtszüge eines der Untoten wieder, die sie in der Nacht bedroht hatten.
Nun drängten die Bauern von allen Seiten herbei. Dutzende bereitwillige Hände halfen mit, den Untoten aus dem Friedhof zu tragen und auf dem Scheiterhaufen niederzulegen. Der Professor befahl, eine Axt zu bringen. Mit der blanken Waffe in der Hand trat er herzu und schlug dem Vampir den Kopf ab. Frisches, hellrotes Blut quoll aus der Wunde und rann über die Holzscheiter, als er den Kopf am Haar fasste und ihn zwischen die Knie des Leichnams legte.
Flammen prasselten hoch.
Der Pfarrer trat neben den Holzstoß und murmelte die Totengebete. Julia sah, wie der Leib in den Flammen alterte. Das Sonnenlicht hatte ihn getroffen, und die verzögerte Verwesung setzte ein. Es dauerte nicht lange, da brannte ein mit fauligem Fleisch überzogenes Gerippe auf dem Scheiterhaufen. Es dauerte nicht lange, und es waren nur noch schwarz verkohlte Knochen übrig und der Schädel, der grinsend zwischen den Knien lag.
Währenddessen wurden bereits die anderen alten Gräber geöffnet.
Jonathan Pike seufzte befriedigt. »Auf jetzt, wir haben noch viel zu tun, ehe heute die Sonne sinkt.«
Sie mussten sich beeilen, um Heidebrock und Fahrning zu erreichen und dort die Vampire aus ihren Gräbern zu holen und zu vernichten. Knapp vor Sonnenuntergang hatten sie ihr Werk vollendet: Die Untoten, die sie in der Nacht zuvor gesehen hatten, waren enthauptet und verbrannt worden. Von Eberhard und der Vampirgräfin jedoch hatten sie keine Spur gefunden.
* * *
Sie kehrten ohne weitere Zwischenfälle auf die Burg zurück, wo Jan sie bereits erwartete. »Da ist eine Frau namens Käthe, die dich sprechen will. Sie sagt, es ist dringend und wichtig«, wandte er sich sofort an seinen Freund Markus.
Er hatte noch nicht ausgesprochen, da tauchte die Frau auch schon auf. Sie war klein, krumm und in altmodische Kleider gewickelt. Über der Schulter trug sie einen aus bunten Flicken genähten Sack. Augenscheinlich war sie ein Kräuterweiblein – eine weise Frau oder, weniger freundlich ausgedrückt, die Dorfhexe.
»Guten Tag, Herr von Weldern«, begrüßte sie ihn, »und Ihnen auch, meine Herrschaften.«
»Ebenfalls guten Tag«, erwiderte Markus. »Worum geht es denn?«
Die Alte schüttelte vorwurfsvoll den Kopf. »Ihr hättet die junge Dame da nicht auf die Burg bringen dürfen«, ermahnte sie ihn. »Das hat das ganze Unheil ausgelöst. Aber jetzt bin ich hier, um zu helfen, so gut ich kann.« Sie holte aus ihrem Rucksack ein dickes Buch heraus, das in schwarzes Katzenfell gebunden war, und legte es auf den Tisch. »In diesem Buch steht ein Zauber geschrieben, der euch helfen wird.«
»Was haben Sie vor?«,
Weitere Kostenlose Bücher