Unter dunklen Schwingen - Unter dunklen Schwingen
Raum. Es wurde schwül und dumpf, und ein Geruch wie von unzähligen süßlichen Essenzen breitete sich aus. Wie eine schwarze Woge strömte es von der Lederrolle her auf sie zu und überwältigte sie so sehr, dass Julia und Jan wie berauscht nebeneinander auf das Bett sanken. Der Professor klammerte sich schwankend an einem der starken Pfosten des Himmelbettes fest, um nicht zusammenzubrechen. Ferne, dämonische Musik drang an ihre Ohren, und erschreckende Bilder drängten sich ihnen auf. Julia fühlte ihre Nase verstopft von den Gerüchen nach Blut und faulsüßen Düften. In ihrem Mund klebte ein ekelhafter Geschmack. Ihr Kopf schmerzte.
Jan raffte sich auf und rieb sich mit beiden Händen die pochenden Schläfen. »Was war das, Professor? Was ist geschehen?«
»Es heißt, dass die Gräfin Samantha einen Pakt mit der Hexenkönigin Astarte geschlossen hat. Ich wette, was sich in der Lederrolle befindet, ist dieser unselige Vertrag. Gleich werden wir den Beweis haben.«
»Fassen Sie das Ding bloß nicht noch einmal an!«, rief Julia entsetzt, aber der Professor nahm es bereits in die Hand und hob die Kappe ab. Ein Duft wie von vermoderten Blumen schwebte durchs Zimmer, aber nichts weiter geschah. Jonathan Pike zog eine gläserne Phiole aus dem ledernen Schutzmantel. Darin steckte ein Stück weißlicher, glatt gespannter Haut, die auf beiden Seiten beschrieben war und die Unterschrift der Gräfin trug.
»Es ist tatsächlich der Pakt«, sagte der Professor mit bebender Stimme. Dann holte er tief Atem, und im nächsten Augenblick hielt er das Stück Haut in die Flamme seines Feuerzeugs. Ein Lärm erschütterte den Raum, als würden alle Möbel durcheinander geworfen und die Fensterscheiben zerschmettert. Eine Stichflamme fuhr bis zur Decke hoch. Das Stück Haut schmorte und zischte, brannte aber dann lichterloh, wobei es einen üblen Geruch ausströmte.
Vom Fenster her klang das Lachen einer lieblichen Stimme, doch höhnisch und triumphierend zugleich. »Das nützt nichts, alter Narr! Das nützt rein gar nichts, denn dieser Pakt steht in meinem Herzen geschrieben!«
* * *
Inzwischen waren Markus und seine Verlobte sowie der Verwalter mit seinem Sohn in das Zimmer geeilt. Sie alle hatten den Lärm gehört, waren besorgt zusammengelaufen und zeigten sich überrascht, als sie das Zimmer ruhig und in bester Ordnung vorfanden. »Ich dachte«, rief Bühler, »eine Mauer sei eingestürzt, so entsetzlich war dieser Lärm!«
Jan und Julia erzählten hastig, was geschehen war.
»Allen Heiligen sei Dank, dass dieser Vertrag, und somit auch Samantha, vernichtet wurde!«, rief Markus erleichtert, wurde aber enttäuscht, als der Professor ihm erklärte, dass dies nicht der Fall war. Der Pakt galt, solange die Vampirgräfin willens war, sich daran zu halten.
»Heute ist es zu spät dazu, aber morgen wollen wir das ganze Haus durchsuchen, ob wir irgendwo Spuren der Vampirin finden«, gebot Jonathan Pike.
»Meinen Sie, sie hat sich hier im Hause eingenistet?«, fragte Markus erschrocken.
»Vielleicht, vielleicht auch nicht. Immerhin hat sie hier gelebt und kennt jeden Winkel. Ich habe übrigens etwas für Sie.« Er kramte einen Lederbeutel hervor und entnahm ihm einige kleine goldene Medaillen, von denen er jedem eine reichte. »Nehmen Sie das. Es ist geweiht und wird Sie auf jeden Fall für heute Nacht vor allen Angriffen schützen.«
Markus nahm ehrfürchtig die Medaille entgegen, küsste sie und hängte sie sich um den Hals. Elsa zögerte. Sie hielt ihre Medaille in der Hand, betrachtete sie und warf sie dann plötzlich beiseite. »Ich glaube nicht an solchen Unsinn«, sagte sie scharf. »Ich will das Ding nicht haben. Ein Gespenst kann mir nichts tun – wenn es überhaupt eines gibt!«
»Ich fürchte, da irren Sie sich«, widersprach der Professor ernst. »Es gibt sie, und sie können Ihnen auch etwas antun. Samantha versucht, Sie zu sich zu holen. Sie wird Sie locken und betören und überwältigen. Die Medaille wird Sie schützen, solange Sie sich nicht leichtfertig mit der Vampirin einlassen. Das gilt für Sie alle hier: Fragen Sie nichts und geben Sie keine Antwort, wenn sie Ihnen erscheint!«
* * *
Julia ging nur widerwillig zu Bett. Sie schlief unruhig. Mitten in der Nacht schreckte sie aus dem Schlaf, weil sie es an der Tür klopfen hörte – leise und sacht. Benommen stieg sie aus dem Bett und öffnete die Tür. Im Dämmerlicht des Korridors, in den nur blauer Mondschein durch die Fenster fiel, stand eine
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