Unter feindlicher Flagge
hörbar auf. »Das war knapper, als ich dachte«, meinte er. »Glauben Sie, es wäre jetzt sehr unpassend, etwas zu essen?«
»Ich denke, wir können die Etikette im Moment außer Acht lassen, Mr Hawthorne«, sagte Hayden vom Ruder aus und fuhr scherzhaft fort, »und uns ein kleines Mahl gönnen. Solange wir nicht schwelgen und nur den gröbsten Hunger stillen.«
»So sehe ich das auch«, erwiderte der Leutnant der Seesoldaten. »Nur eine Kleinigkeit. Mal sehen, was unsere Gastgeber uns eingepackt haben.« Er begann, die Lebensmittel durchzugehen, von denen einige in Papier eingeschlagen waren und andere in Beuteln steckten. »Hier haben wir Brot, in der französischen Variante. Dann ein wenig kaltes Bratenfleisch, Wein, ein paar schrumpelige Äpfel, dafür aber recht ordentliche Karotten. Nicht gerade ein Festschmaus, aber immerhin ...«
»Betrachten wir es als Bankett für einen Bettler, Mr Hawthorne, dann können wir uns nicht beklagen. Ich habe richtig Durst. Wenn da etwas Wein zu haben ist?«
Sie aßen und tranken im Licht der Sterne, während Hayden sie aus der Bucht hinaus auf die offene See navigierte. Das kleine Boot driftete stark ab, was Hayden Verdruss bereitete. Der Südwestwind drohte sie sogar in die Bucht zurückzudrängen, doch an der nächsten Landspitze würde Hayden den Kurs korrigieren können. Er spürte, dass das Wetter umschlug. Von Südwest her braute sich ein Sturm zusammen. Schon frischte der Wind auf.
Als auch Hawthorne auf den Wetterumschwung zu sprechen kam, wurden Wickham und Hayden ernst.
»Müssen wir uns Sorgen machen?«, fragte der Leutnant der Seesoldaten nach einer Pause.
»Wir müssen hinaus aufs offene Meer«, erklärte Hayden. Mit dem Stück Brot deutete er in die Ferne. »Wenn wir es um Cap de la Chèvre herum schaffen und an Ushant vorbeisegeln, haben wir den Ärmelkanal erreicht. Aber wenn wir jetzt zurück zur Küste gedrückt werden«, er zeigte zurück zu den Steilklippen, »stecken wir in Schwierigkeiten. Dieser alte Kahn hier driftet zu stark ab, und die Gezeiten sind im Augenblick nicht auf unserer Seite.« Er schaute sich im Boot um. »Mr Wickham, wären Sie so nett und übernehmen kurz das Ruder?«
Mittschiffs bildeten mit Holznägeln befestigte Bretter rechtwinklig zur Kielrichtung ein grobes Auffangbecken für Fische. Hayden gelang es, die längste Planke abzureißen. Mithilfe eines Taus bastelte er daraus ein Seitenschwert, das er senkrecht ins Wasser tauchte.
»Mr Hayden«, staunte Wickham, »das entlastet das Ruder enorm.«
»Danken Sie den Niederländern«, erwiderte er. »Meines Wissens haben sie die ersten Seitenschwerter entwickelt, wenn es nicht schon viel früher die Chinesen erfunden haben.«
Erschöpft von der langen Flucht entlang der Küste, legten sich Wickham und Hawthorne alsbald auf die Fischernetze und waren schnell eingeschlafen. Hayden blieb am Ruder und hielt sich mit aller Macht wach, da er wusste, dass sie erst noch die Bucht hinter sich lassen mussten. Am Himmel zogen Schlieren auf und verschluckten viel vom Sternenlicht. Der Wind aus Südwest nahm zu, und obwohl das Boot noch im Schutz der Landzunge im Süden fuhr, wurden die Wellen merklich höher. Schon bald brachen sich die ersten schaumgekrönten Wasser an der Bordwand.
Mehrmals stand Hayden auf, um in die Dunkelheit zu spähen, und weckte schließlich Wickham, da er Hilfe beim Wenden brauchte. Das Hauptsegel ließ sich schlecht von nur einem Mann bedienen. Wickham war noch völlig verschlafen und steif, leistete aber seinen Beitrag bei dem Wendemanöver. Dann übernahm der Midshipman wieder das Ruder, während Hayden das notdürftige Seitenschwert an der Steuerbordseite ins Wasser senkte. Schließlich beschlossen sie, die Segel zu reffen, doch dafür brauchten sie noch Hawthornes Hilfe. Auf einem unbekannten Boot und dazu in der Dunkelheit war das kein leichtes Unterfangen und dauerte eine Weile.
Der Midshipman legte sich rasch wieder schlafen, und Hayden fragte sich, ob der Junge eigentlich richtig wach gewesen war. Trotz der verkürzten Segelflächen krängte das kleine Boot bei jedem Windstoß. Zur Sicherheit hielt Hayden das Hauptsegel mit einer Hand fest, für den Fall, dass er es schnell einholen musste, um das Kentern des Boots zu verhindern. Hawthorne setzte sich mit seinem ganzen Gewicht auf die Bordwand, um die Seitenlage auszugleichen. Hayden merkte dem Leutnant der Seesoldaten an, wie erschöpft und ausgelaugt er war.
Die ersten Gischtfetzen sprühten über
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