Unter feindlicher Flagge
Cap de la Chèvre. Wir müssen bald wieder eine Wende einleiten, denn wenn wir weiter leewärts abdriften, werden wir gegen die Klippen nördlich von Chevre gedrückt oder sogar bis zur Pointe de Penhir. Und wenn wir richtig Pech haben, treibt der Wind uns wieder in die Bucht.«
Inzwischen schlugen die hohen Wellen gefährlich gegen die Bordwand. Mit Verzögerung gelang es den Männern, die Segel weiter zu reffen. Eine Schot eines heftig killenden Segels traf Hayden an der Wange, die anschwoll und schmerzte. Für einen Moment vergaß er das Brennen an der Seite.
»Ich glaube, wir können die Segel nur an zwei Stellen verkürzen«, stellte Wickham fest, als die drei Männer wieder ihre Positionen wechselten.
»Wir werden die Segel ganz reffen müssen, wenn der Sturm noch schlimmer wird«, rief Hayden laut in den Wind.
Sie wendeten, hielten Kurs auf Südwest und steuerten zurück zu der langen Halbinsel, die den südlichen Zipfel der großen Bucht bildete. Anders ging es nicht. Weiter nördlich lauerten Untiefen und Riffe, dahinter die Insel von Ushant. Das kleine Boot würde dort an der Küste zerschellen. Bei diesem Wind hätte sich Hayden nicht einmal bei Tageslicht in die Nähe der Insel gewagt.
Zweimal schlugen Wellenkämme über ihnen zusammen und zwangen die Männer, wie verrückt zu schöpfen. Erneut leiteten sie eine Wende ein und hielten sich Nordwest bis Nord, wie Hayden schätzte.
Ganz allmählich verwandelte sich das Schwarz der Nacht in ein mattes Grau. Hier und da wurden nun bleiche Wellenkämme in einiger Entfernung sichtbar. Die Männer waren bis auf die Haut durchnässt und froren im kalten Herbstwind. Abwechselnd schöpften sie Wasser, und durch die Bewegung wurde ihnen zumindest ein bisschen wärmer. Wickham schlug sich tapfer am Ruder, aber Hawthorne kam mit dem Wind nicht recht klar, sodass Wickham und Hayden den Kurs beibehalten mussten. Das kleine Fischerboot war nicht für die offene See geschaffen und blieb nur durch das Geschick der Mannschaft auf Kurs.
»Binnen einer Stunde müsste es hell werden, Mr Hayden!«, rief der Midshipman und kämpfte mit dem Ruder. Nach und nach wurden die Konturen an Bord und auf See sichtbar. Hayden erschrak, als er gewahrte, dass die Wellen höher waren, als er in der Dunkelheit angenommen hatte.
»Sie dürften recht haben«, antwortete Hayden und blickte nach Osten. Sie behielten nun grob einen nordwestlichen Kurs bei. Im Regen hob sich ein dunkler Schatten vom Horizont ab, zerklüftet und unheilvoll. Hayden war sich ziemlich sicher, dass es sich um das Festland handelte, vermochte aber nicht abzuschätzen, wie weit sie entfernt waren.
Eine Stunde später tauchte die Küste im grauen Licht des Morgens auf, ungefähr drei Meilen entfernt.
»Ein richtiger Sturm!«, rief Wickham. Das Haar klebte ihm am Kopf, die Haut wirkte glänzend und fast durchscheinend, von blauen Adern durchzogen. Er fror sichtlich und schien sich nicht gut zu fühlen, doch die Entschlusskraft in seinen Augen hatte nicht abgenommen. Hawthorne war seekrank, schöpfte aber unerschütterlich weiter, ohne sich auch nur mit einem Wort zu beklagen. Die Bewegungen eines kleinen Bootes waren vollkommen anders als das Rollen und Stampfen eines großen Schiffes, sodass manch ein Matrose, dem an Bord einer Fregatte nie schlecht wurde, schon grün im Gesicht war, wenn er ins Beiboot steigen musste. Das hatte Hayden oft beobachtet und war froh, dass die Seekrankheit ihm noch nie zugesetzt hatte.
»Ich hatte nicht zu hoffen gewagt, dass wir es so weit hinaus schaffen«, stellte er fest. Mit der flachen Hand schlug er auf das Dollbord. »Dieses kleine Boot hat sich tapfer geschlagen.«
»Das haben wir Ihrem Seitenschwert zu verdanken, Mr Hayden«, betonte Wickham.
Hayden stand auf, suchte Halt am Besanmast und spähte hinaus aufs Meer. Er suchte nach einem Segel in all den weiß schäumenden Wellen.
»Können Sie sie irgendwo entdecken?«, fragte Hawthorne. Müde und schlaff lehnte er an der Bordwand und machte eine kleine Pause beim Schöpfen.
Hayden suchte die Weite des Meeres mit bloßem Auge ab und schüttelte den Kopf.
»Ich werde jetzt das Ruder übernehmen«, kündigte er an und setzte sich hinten auf die Ducht. Er nahm Wickham die Ruderpinne ab und übernahm statt des Hauptsegels das Besansegel. Der Junge ließ sich neben dem Leutnant der Seesoldaten an der Bordwand nieder. Die beiden boten einen armseligen Anblick, erschöpft wie sie waren. Doch Hayden ahnte, dass er nicht viel
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