Unter feindlicher Flagge
Wickham? Dass es ein Missverständnis war, nicht wahr?«
Wickham blickte zögerlich auf. »Vielleicht, Sir.«
Hertle wandte sich Hayden zu. »Was hat Hart dir gesagt, Charles?«
»Eine Stunde nach Mitternacht sollte das Beiboot zur nördlichen Spitze des Küstenstreifens kommen, unterhalb von Crozon.«
Eine steile Falte zeichnete sich zwischen Hertles Brauen ab. »Seltsam, mir sagte er südlich, nicht nördlich. Er wiederholte es sogar, was mir eigenartig vorkam.«
»Fakt ist, wir wurden an der nördlichsten Spitze an Land gebracht«, betonte Hayden, »und genau an der Stelle sollten wir uns wieder einfinden.« Die ganze Zeit über hatte er sich schon den Kopf zerbrochen, was mit dem Beiboot war, das sie wieder hätte abholen müssen.
Hawthorne zog eine Braue hoch und bedachte Hayden mit einem düsteren Blick.
Hertle schüttelte den Kopf, als könne er sich nichts anderes als ein Missverständnis vorstellen, und fuhr dann mit seinem Bericht fort. »Nachdem wir uns von der Themis verabschiedet hatten, behielt ich zunächst den Kurs bei und war fest entschlossen, in der kommenden Nacht ein Beiboot an Land zu schicken. Und was bot sich unseren Blicken, als wir uns der Küste südlich von Brest näherten? Ein kleines Fischerboot hatte die Küste verlassen und war offenbar in den Sturm geraten. Und nun schien es von einem Kaperschiff verfolgt zu werden.« Hertle lächelte. »Mir ist zu Ohren gekommen, dass die französischen Kaperfahrer auf alles zuhalten, was Segel hat, doch diese Prise erschien uns eher merkwürdig. Da wir ohnehin nicht viel für Kaperschiffe übrig haben, hielten wir es für ratsam, uns der Angelegenheit anzunehmen. Und hier seid ihr nun - ihr seid keine Gefangenen der Franzosen, aber ihr seid auch nicht zu zweit, wie Kapitän Hart mir versicherte, sondern zu dritt.«
»Das ist wieder eine andere Geschichte«, sagte Hayden und warf einen vorsichtigen Blick auf seinen Midshipman, der den Blick seines Vorgesetzten tunlichst mied und sich ganz auf das Essen konzentrierte.
»Nun, was für Wege ihr auch eingeschlagen haben mögt, jetzt seid ihr jedenfalls Gäste auf meinem Schiff. Und natürlich bringe ich euch zurück nach England.«
Als sie genug gegessen und getrunken hatten, räumten die Diener den Tisch ab. Hawthorne erhob sich und zog den Kopf unter der niedrigen Decke ein. »Kommen Sie, Mr Wickham. Ich denke, Mr Hayden und Kapitän Hertle möchten noch unter vier Augen miteinander reden.«
Die beiden entschuldigten sich und bedankten sich mehrmals bei Robert Hertle für die entschlossene Hilfe und die lang ersehnte Mahlzeit. Sobald alle anderen die Kabine verlassen hatten, betrachteten die beiden Freunde einander schweigend.
»Es sieht ganz danach aus, dass sich Kapitän Hart nicht sonderlich bemüht hat, seinen Ersten Leutnant und den Leutnant der Seesoldaten zurückzuholen«, stellte Hertle fest. »Er hat wohl nur das Nötigste getan, um bei den Untersuchungen, die die Admiralität womöglich anstellt, eine Antwort parat zu haben.«
»Weder Hawthorne noch ich verfügen bei der Admiralität über genügend Einfluss, der eine nähere Untersuchung rechtfertigen würde.«
Robert lehnte sich in seinem Stuhl zurück und streckte die Beine aus. »Aber in Lord Arthur Wickhams Fall ist das etwas anderes. Sein Vater ist ein einflussreicher Mann.«
»Hart konnte nicht wissen, dass Wickham mit uns an Land gegangen ist. Der Junge hatte sich ins Beiboot gestohlen und gab sich erst zu erkennen, als ich ihn nicht mehr mit den anderen zurückschicken konnte. Seine Gefährten in der Messe der Midshipmen sollten seine Abwesenheit an Bord vertuschen, falls es zu Nachfragen kam.«
»Wie gern würde ich Harts Gesicht sehen, wenn er erfährt, dass er den Sohn des Earl of Westmoor leichtfertig an Land zurückließ und nicht einmal den Versuch unternommen hat, herauszufinden, was genau mit dem Jungen geschah.« Hertle kicherte. »Und jetzt, da ich dich gefunden habe, dürfte seine Weigerung, entsprechende Maßnahmen einzuleiten, doppelt nachlässig erscheinen. Mir tut der Mann fast schon leid. Mag ja sein, dass Mr Hart innerhalb der Admiralität über Beziehungen verfügt, aber ich schätze, dass die Stimme eines betrübten Earl of Westmoor mehr Gewicht haben dürfte. Was meinst du?«
»Deck!«, kam ein Ruf von draußen. »Segel aus Süd! Eine Fregatte, wie es scheint.«
Hertle zog eine Braue hoch. »Ich wette, das ist Kapitän Hart. Er dürfte außer sich geraten sein, als er merkte, dass er den Sohn von
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