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Unter feindlicher Flagge

Unter feindlicher Flagge

Titel: Unter feindlicher Flagge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sean Thomas Russell
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die Männer der Lucy zusammengerufen. Hayden und Philpott führten die Matrosen ins Kanonendeck der Fregatte, da es ihnen leichter erschien, durch die Fenster der Galerie an Bord der Lucy zu klettern. Im Kanonendeck konnte man sehen, welchen Schaden die Sechspfünder angerichtet hatten. Viele der Soldaten waren der Kanonade zum Opfer gefallen. Überall lagen Männer in blauen Uniformen mit verdrehten oder abgetrennten Gliedmaßen. Die Engländer hielten inne, wie erstarrt von dem grausigen Anblick.
    Ein junger Infanterist regte sich, worauf Hayden erschrocken herumfuhr und das Entermesser zur Abwehr hochnahm. Doch der Franzose, kaum älter als Wickham, streckte nur stumm die Hand aus, als flehe er um Hilfe. Wickham war im Begriff, zu dem Verletzten zu gehen, aber Hayden legte ihm eine Hand auf die Schulter.
    »Sie können ihm nicht mehr helfen«, sagte Hayden mit belegter Stimme, und Wickham wich von Entsetzen gepackt zurück.
    Der Soldat, zur Hälfte von einem gefallenen Kameraden verdeckt, war von einem Geschoss halb zerrissen worden. Die glänzenden Gedärme quollen unter dem blauen Uniformstoff hervor.
    Mit geweiteten Augen presste Wickham einen Ärmel auf seinen pulverfleckigen Mund. »Großer Gott, Sir«, hörte man seine gedämpfte Stimme. »Wie viele Witwen haben wir heute gemacht?«
    Sacht zog Hayden den Midshipman fort.
    Philpott fing Haydens Blick ein. Das Gesicht des jungen Leutnants war wachsartig. »Unsere Kanoniere haben das Deck mit Kartätschen bestrichen«, wisperte er. »Sie haben die Leitern zerfetzt. Keiner fand Schutz.«
    Hayden wandte bewusst den Blick von den Toten ab und bahnte sich seinen Weg zur Heckgalerie. Er hatte die furchtbare Kanonade angeordnet, hatte sogar dazu aufgerufen, möglichst großen Schaden anzurichten. Und nun kam ihm der Gedanke, dass es fast an Sünde grenzte, einfach wegzuschauen.
    Hayden wusste nicht, wie er eigentlich das französische Schiff verlassen hatte, als er das Deck der Lucy betrat. Er schien erst wieder zu sich zu kommen, als er am Steuerrad stand und die kühle Abendluft in die Lungen sog. Die Dunkelheit legte sich über die Schiffe. Der Gestank des Blutbads und der Pulverschwaden wehte von den beiden Fregatten herüber. Als Hayden auf das Deck schaute, sah er, dass er blutige Fußabdrücke hinterlassen hatte, die immer blasser wurden, aber nie ganz aufhörten.

K APITEL NEUNZEHN
    Hart zuckte zusammen, als eine Kugel kreischend durch die Luft sauste. Instinktiv hob er einen Arm, als könne er damit ein Eisengeschoss abwehren. Doch er fing sich rasch wieder und blickte hinüber zur Lucy.
    »Was macht Mr Hayden da?«, fragte Barthe laut.
    Die Offiziere standen an der Reling der Themis und beobachten, wie die Tenacious auf die französische Fregatte zuhielt. Zur Überraschung aller hatte die Lucy den Kurs geändert und schien nicht mehr die Brigg angreifen zu wollen.
    »Oh, Sie kennen ja Mr Hayden. Er versteht mehr von der Sache als Kapitän Bourne oder ich«, höhnte Hart. »Also hat er Bournes Anweisung ignoriert und will nun der Tenacious zu Hilfe eilen, als ob ein so erfahrener Kommandant wie Bourne Hilfe nötig hätte.«
    »Sollen wir uns dann die Brigg vornehmen?«, wollte Barthe wissen. »Ich meine, wenn die Lucy schon abdreht?«
    Hart schüttelte den Kopf und zog ein säuerliches Gesicht, hielt es jedoch nicht für nötig, seinen Master anzusehen. »Auf keinen Fall. Wir bleiben hier liegen, damit die Handelsschiffe nicht die Anker einholen. So lautet der Plan. Ich frage mich, was Bourne wohl dazu sagt, dass sein ach so geschätzter Schützling ausschert.«
    »Gewiss hat Mr Hayden einen triftigen Grund, dass er sich nicht an den Befehl hält«, sagte Archer mit fester Stimme. Er verfolgte die britischen Schiffe durch das Fernglas. Die länger werdenden Schatten der Belle Ile erfassten allmählich die französische Fregatte.
    »Mr Hayden hat es sich wohl zur Regel gemacht, Befehle zu missachten«, schimpfte Hart verächtlich. »Und jetzt tritt seine Inkompetenz vor aller Augen zutage. Stellen Sie sich vor, unser draufgängerischer Erster Leutnant hat Angst, eine kleine Brigg anzugreifen ...«
    Hart war offenbar noch nicht fertig, doch in diesem Moment feuerte der französische Kommandant seine Breitseite ab. Rauchwolken hüllten die Fregatte ein. Auf die Entfernung waren die Schäden an Bord der Tenacious beträchtlich. Rigg und Segel fielen herunter, die Bramstenge am Großmast knickte zur Seite, und doch schien das Schiff nur kurz zu schwanken und fing

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