Unter feindlicher Flagge
schaute aufmerksam zu. Mal hielt er ein Tau, mal holte er einen Block.
Schon lange hatte Hayden es sich zur Aufgabe gemacht, die Besatzungen der einzelnen Schiffe zu beobachten. Das lag zum einen daran, dass ihn Menschen im Allgemeinen faszinierten, zum anderen aber daran, dass die Mannschaft das Werkzeug war, mit dem ein Offizier die Aufgaben erfüllen konnte, die ihm von den Kommissaren der Lords aufgetragen wurden. Hayden hatte schon beides erlebt: gute und schlechte Mannschaften. Und er hatte lange darüber nachgedacht, woran es liegen mochte, dass die eine Mannschaft funktionierte, die andere jedoch nicht. Er hatte erlebt, wie sich schlechte Mannschaften unter der Führung guter Offiziere zum Besseren wandelten, aber er war auch Zeuge geworden, wie eine offensichtlich arbeitswillige Mannschaft wegen eines einzigen Fockmastmatrosen mürrisch und eigensinnig wurde. Für Hayden war eine Besatzung wie Schießpulver, das bei der richtigen Mischung die gewünschte Wirkung erzielte, aber unbrauchbar war, wenn die Bestandteile nicht im exakten Verhältnis zueinander standen. Je mehr erfahrene Matrosen an Bord waren, insbesondere Männer, die schon an einigen Gefechten teilgenommen hatten, desto besser. Denn zu diesen Männern schauten die jüngeren und weniger erfahrenen Matrosen auf und eiferten ihnen nach. Leider entdeckte Hayden von dieser Sorte nur wenige an Bord der Themis, und das bereitete ihm Sorge.
»Verflucht sei dein wertloser Balg, Manning«, hörte Hayden einen der Matrosen schimpfen, »zieh endlich an dem Tau. Los, beweg deinen Arsch.«
Zu Haydens großem Erstaunen kam es unter den Männern zu einem Gerangel, worauf Franks, der Bootsmann, seinen Rohrstock nahm und für Ordnung sorgte. Doch das Fluchen und unzufriedene Gemurmel ging weiter.
Hayden bat einen Bediensteten um Wasser, trat einen Schritt zurück und beobachtete, wie schleppend die Mannschaft sich an die Arbeit machte. Diesen Männern fehlte nicht nur der Wille, vernünftig zusammen anzupacken, vielmehr schienen die Matrosen darauf aus zu sein, sich gegenseitig Steine in den Weg zu legen. Wenn sich einer abmühte, behinderte der andere ihn in seiner Arbeit. Rief ein Mann beispielsweise nach einem Marlspieker, warf der andere den gewünschten Gegenstand absichtlich zu weit, sodass der Mann den Spieker nicht auffangen konnte. Andere standen träge an Deck, sahen zwar, dass eine bestimmte Aufgabe mehr Matrosen erforderte, sprangen aber nicht hinzu, um zu helfen, wie es bei einer arbeitswilligen Mannschaft der Fall gewesen wäre. Zudem sah Hayden Männer, die sich mit einer schweren Arbeit abmühten, aber niemanden um Hilfe baten - da sie offenbar ahnten, dass ihnen keiner beispringen würde. Überall nur finstere Blicke, gemurmelte Flüche und Drohungen. Eine solche Besatzung war ihm noch nicht untergekommen, und allmählich fragte er sich, ob Philip Stephens eine Vorstellung davon hatte, wie es an Bord dieses unglückseligen Schiffs aussah.
Aldrich schien seine Gehilfen zu haben - Männer, die sich ihm fügten und sich fast schützend um ihn scharten -, und doch gewann Hayden den Eindruck, dass Aldrich nicht in diese Rolle gedrängt werden wollte. Auf seine stille Art wehrte er alle Versuche ab, ihn auf eine besondere Stufe zu stellen - ein seltsames Phänomen in den Augen des Ersten Leutnants, der selbst stets Verantwortung übernommen und nach Anerkennung gestrebt hatte.
Schließlich rief er sich in Erinnerung, dass sich unter den Männern mindestens ein Mörder befand. Und da Hayden mittlerweile selbst erlebt hatte, was für Feindseligkeiten zwischen den Matrosen bestanden, überraschte ihn der Umstand nicht im Mindesten.
Die Befehle der Offiziere wurden mit möglichst geringem Aufwand befolgt - beim kleinsten Anzeichen von Respektlosigkeit und Nachlässigkeit wären die Matrosen ausgepeitscht worden. Aber da die Männer längst herausgefunden hatten, welches Maß an Dreistigkeit die Offiziere noch durchgehen ließen, hatte sich die Mannschaft eine gewisse Trägheit angewöhnt.
Hayden legte Uniformrock und Hut ab und überlegte, ob er versuchen sollte, Ordnung in dieses Durcheinander zu bringen. Für gewöhnlich genoss er Herausforderungen dieser Art, aber bei dieser Mannschaft und der mit Händen greifbaren Feindseligkeit war ihm unbehaglich zumute. In der Vergangenheit hatte er des Öfteren erlebt, dass sein Enthusiasmus auf andere übersprang, aber diese Männer schienen dafür unempfänglich zu sein und begegneten Hayden mit Argwohn,
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