Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unter feindlicher Flagge

Unter feindlicher Flagge

Titel: Unter feindlicher Flagge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sean Thomas Russell
Vom Netzwerk:
dahin niemand einen Finger eingebüßt hatte. Es war eine kurze Aussage, und doch fühle ich mich noch heute wie Judas, insbesondere, da sich ja wohl herausgestellt hat, dass McBride unschuldig war.«
    »Belasten Sie sich nicht mit Harts Sünden. Denn schließlich war er es, der McBride strafrechtlich verfolgte. Die Offiziere des Kriegsgerichts befanden ihn für schuldig und fällten ihr Urteil, obwohl keine eindeutigen Beweise vorlagen. Das ist nicht Ihre Schuld, Doktor.«
    »Aber ich spielte meine Rolle. Vielleicht war ich nicht Judas, sondern eher ein römischer Soldat. Doch ich schweife ab. Aber eins habe ich an jenem Tag im Gericht gelernt: wie brüderlich all diese Kapitäne doch zusammenstehen, obwohl sie sich sonst so gleichgültig geben! In McBrides Fall wog die spärliche Beweislage weitaus weniger als Harts Überzeugung, dass dieser Mann der Schuldige war. Lange Rede, kurzer Sinn: Man wird Hart keine Schuld geben, solange man einen anderen findet, auf dessen Schultern - oder sollte ich sagen, auf dessen Rücken? - man die Last abladen kann.«
    Der Doktor schaute von der Times auf. Sein silbergraues Haar schien im Kerzenschein zu glühen.
    »Es wird überhaupt keine Schuldzuweisung geben, denke ich. Der Widerstand gegen die Meuterer war so stark, dass alle von jeglicher Schuld freigesprochen werden, auch Sie natürlich. In dieser Hinsicht können Sie beruhigt sein. Und was die Meuterei selbst betrifft - dafür haben sich allein die Meuterer zu verantworten. Niemand sonst. Und vergessen Sie nicht, die Offiziere und loyalen Besatzungsmitglieder haben sich ehrenvoll benommen, als sie die Themis zurückeroberten.«
    »Nicht alle, Mr Hayden.« Griffiths strich mit den Fingern die Zeitung glatt. »Kapitän Hart lag wimmernd im Lazarett und gab Ihnen den Befehl, sofort zurück nach England zu segeln. Er versuchte, Ihnen das Kommando zu entreißen, damit Sie ihn nicht in ein Gefecht verwickelten, um das Schiff zu kapern, das er verloren hatte. Sein Verhalten kann nur als feige bezeichnet werden. Wenn die Wahrheit ans Licht kommt, ist Hart ruiniert, und damit meine ich nicht nur seine Karriere.«

K APITEL VIERUNDZWANZIG
    Die Arbeiten an Bord der Themis gingen schnell voran, obwohl es nur eine Rumpfmannschaft gab - Hayden glaubte bisweilen, dass es genau deshalb so gut lief. Die Männer, die an Bord blieben, packten bereitwillig an, und diejenigen, die noch nicht zu den erfahrenen Matrosen zählten, hatten endlich Gelegenheit, die wichtigsten Handgriffe zu erlernen. Es sah nämlich ganz danach aus, als bliebe das Schiff noch eine Weile im Hafen.
    Die unterschwellige Unruhe, die das Schiff zuvor infiziert hatte, war nun verflogen. Die Männer vor dem Mast hatten ihren Sinn für Kameradschaft wiederentdeckt. Haydens Befehle wurden mit Eifer und sogar guter Laune ausgeführt, und der arme, humpelnde Bootsmann Franks und dessen Gehilfen fühlten sich fast überflüssig, da keiner der Männer zur Arbeit angetrieben werden musste. Kurzum, auf der Themis herrschte zum ersten Mal seit Jahren gute Laune vor.
    Da die Aussicht auf Prisengeld bestand, war Desertion eher unwahrscheinlich, sodass Hayden den Seeleuten in kleinen Gruppen Landgang gewährte. Die Männer nutzten das ihnen entgegengebrachte Vertrauen nicht aus und kehrten stets mehr oder weniger pünktlich zurück, allerdings nicht immer nüchtern. Die angeschlagene Fregatte erstrahlte bald wieder in ihrem alten Glanz, als Schiffszimmerleute und Segelmacher ihre Arbeit verrichteten. Mehrere Anstriche verbargen bald die Spuren der zahllosen Sünden.
    Hayden wähnte sich in einem Schwebezustand. Die Wochen des Leidens unter Hart waren zwar vorbei, aber nun blickte der Leutnant in eine unsichere Zukunft. Eine ruhige Schönwetterlage breitete sich über Mensch und Meer aus, und Hayden verspürte eine stille Zufriedenheit, an der die Anwesenheit von Henrietta Carthew in Plymouth nicht ganz unbeteiligt war.
    Eines Morgens, als die Sonne die See in Goldfarben tauchte, stieg Hayden an Deck und wurde von der Besatzung und den Offizieren begrüßt. Viele der Männer empfingen ihn mit einem wohlwollenden Lächeln. Hayden trug seinen besten Uniformrock und sehr saubere Wäsche - ein sicheres Zeichen, dass er eine gewisse Dame zu besuchen gedachte. Aber es machte ihm in seiner gegenwärtigen Stimmung nichts aus, wenn sich der eine oder andere Schiffskamerad im Stillen über ihn amüsierte.
    »Das Schiff gehört bis zu meiner Rückkehr Ihnen, Mr Archer«, sagte Hayden, als er an

Weitere Kostenlose Bücher