Unter feindlicher Flagge
langsam. Aber ich denke, das Schlimmste hat er überstanden.«
Hayden schüttelte den Kopf. »Ein bedauernswerter Zwischenfall, Mr Landry. Nun, wir wollen Sie nicht länger aufhalten. Sie haben es eilig, wie ich sehe.«
Man verabschiedete sich, und Landry eilte weiter.
»Das ist also Leutnant Landry.« Henrietta wirkte mit einem Mal nachdenklich. »Er schien ganz erschrocken zu sein, als er Sie sah. Ganz so, als sei er bei einer schamlosen Tat ertappt worden.«
Das war auch Haydens Eindruck gewesen. »Ja, er sah ein wenig verzweifelt aus.«
»Eigenartig, dass er Hart unterstützt. Hatten Sie nicht erzählt, er habe dem Kommandanten letzten Endes getrotzt, woraufhin Hart ihm drohte?«
»Stimmt, aber offenbar ist alles vergeben und vergessen. Vermutlich hat Hart niemanden sonst, den er um Hilfe bitten kann. Landry konnte ihm wohl kaum die Hilfe verwehren.«
»Da haben Sie wohl recht.«
Sie gingen weiter, doch Landrys unvermutetes Auftauchen beschäftigte Hayden. Wie lange mochte der Mann schon in Plymouth sein? Seltsam auch, dass er sich nicht an Bord blicken ließ, nicht einmal des Nachts.
Wenn niemand ihrer Unterhaltung folgen sollte, sprach Henrietta Französisch, nicht zuletzt, um ihre fast vollkommene Aussprache zu perfektionieren. Diese »private Sprache« schuf eine Art Intimität zwischen ihnen, wie Hayden glaubte. Doch gleichzeitig spürte er, dass der vertraute Klang seiner Muttersprache all die Gefühlswirren wachrief, die er im Verlauf der letzten Fahrt durchlebt hatte. Er versuchte indes, sich nichts anmerken zu lassen.
Henrietta wies darauf hin, dass ihre Cousine die häufige Abwesenheit ihres Mannes eher gelassen nahm.
»Würden Sie einen solchen Zustand als unerträglich empfinden?«, fragte Hayden.
»Unerträglich? Vielleicht. Bestimmt langweilig. Aber«, sie warf ihm einen kurzen Blick zu, »wenn ich mit einem Mann verheiratet wäre, den ich von Herzen liebe, so vermag ich nicht zu sagen, ob ein so tief empfundenes Gefühl die Trennung nun unerträglich oder erträglich machen würde. Sie sind ja auch oft nicht in England, Mr Hayden. Wie ertragen Sie es, von den Menschen getrennt zu sein, die Sie lieben?«
»Ich habe keine Familie mehr, nur meine Mutter, die in Boston lebt. Wir sehen uns in so großen Abständen, dass ich mich kaum noch erinnern kann, wie es war, als ich in ihrer Nähe war. Wenn ich aber einmal heiraten sollte, so werde ich meine Frau bestimmt furchtbar vermissen. Ich weiß, dass es Robert so geht. Wie sehr wünschte ich, dieser Krieg wäre vorüber und alle kehrten sicher zurück nach Hause.«
»Das ist unser aller sehnlichster Wunsch, Leutnant.«
Als sie seinen dargebotenen Arm nahm, da sie über eine Stelle mit losen Steinen hinwegsteigen mussten, spürte Hayden, wie sich eine wohlige Wärme in ihm ausbreitete.
Im Haus von Lady Hertle verabschiedete sich Hayden von Henrietta und den anderen und machte der alten Dame noch schnell seine Aufwartung. Danach eilte er hinunter zum Hafen und hielt Ausschau nach dem Beiboot. Schließlich entdeckte er es sehr viel weiter unten am Kai, und zwar dort, wo die Rudergasten einen anzüglichen Wortwechsel mit den Hafensirenen führen konnten, ohne sich aber weiter auf die zwielichtigen Damen einzulassen. Hayden rief nach dem Boot, worauf Childers die Treppe ansteuerte. Doch bevor Hayden auf der Achterducht Platz nehmen konnte, drückte der Bootssteuerer ihm einen Brief in die Hand.
»Mr Barthe schickt das vom Schiff, Sir«, erklärte Childers. »Er meinte, es sei gewiss sehr wichtig.«
Hayden brach schnell das Siegel und sah, dass das Schreiben nicht mit der regulären Post gekommen war. Sowie er das einzelne Blatt auseinanderfaltete, fiel sein Blick auf eine kurze Aufforderung, sich unverzüglich zu einer bestimmten Schankstube zu begeben. Die Zeilen waren unterschrieben mit »Philip Stephens«. Daraufhin bat Hayden Childers, weiter am Hafen zu warten, und eilte den Weg zurück, den er gekommen war.
Von der Straße aus sah Hayden, dass die Zimmer des Ersten Sekretärs auf den Sund hinausgingen. Hayden brauchte gar nicht lange zu warten, sondern wurde gleich nach oben geleitet. Diesmal versteckte sich Stephens nicht hinter einem Schreibtisch, und diesmal zauberte er auch nicht mit dramatischer Geste ein Glas hervor, in dem ein abgetrennter Finger schwamm. Der Erste Sekretär erhob sich, schüttelte Hayden die Hand und bat ihn, Platz zu nehmen. Kurz darauf saßen sie vor den offenen Fenstern, durch die das Licht flutete und
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