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Unter feindlicher Flagge

Unter feindlicher Flagge

Titel: Unter feindlicher Flagge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sean Thomas Russell
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große, lange Rechtecke auf dem Boden erzeugte. Da sich der Erste Sekretär nie mit Höflichkeitsfloskeln aufhielt, kam er ohne Umschweife zur Sache und holte aus einem kleinen Stapel Papier den letzten Brief hervor, den Hayden an seinen »Freund Mr Banks« geschrieben hatte.
    Mit einer Hand schob er sich die Brille auf die Nase, neigte das Schreiben etwas zum Sonnenlicht und überflog kurz die ersten Zeilen, als müsse er sich noch einmal den Inhalt vergegenwärtigen. Hayden spürte, wie sein Unmut wuchs. Denn schließlich war es Stephens gewesen, der ihn wissentlich Harts Kommando unterstellt hatte - zweifelsohne hatten die Kommissare der Lords verlangt, dass ein fähiger Leutnant dem zaudernden Kommandanten unter die Arme greifen sollte. Aber Stephens hatte auch seine eigenen Pläne verfolgt. Vielleicht hatte er innerhalb der Admiralität gegen Hart intrigieren wollen. Oder er gedachte, den Kapitän bloßzustellen, sodass Harts Gönner endlich das wahre Gesicht des feigen Kapitäns erkannten. Hayden war bei diesem Vorhaben Stephens Instrument gewesen, was allein schon Haydens Groll hervorrief.
    Nun nahm Stephens die Brille wieder ab, legte sie behutsam zur Seite und musterte Hayden. »Ich muss gestehen, Mr Hayden, dass Ihr Bericht von Ihrer letzten Fahrt erheblich von dem Artikel abweicht, der unlängst in der Times erschien. Haben Sie ihn gelesen?«
    »Eine Ansammlung schamloser Lügen«, antwortete Hayden mit fester Stimme.
    Stephens horchte auf und bedachte Hayden mit einem sehr ernsten Blick, doch Hayden hatte nicht vor, sich einschüchtern zu lassen. Stephens hatte ihn ins kalte Wasser geworfen, und nun stand es um Haydens ohnehin nicht sehr aussichtsreiche Karriere schlechter als zu Beginn der Fahrt. Von dem ehrenwerten Mr Stephens wollte er nun keine weiteren »Gefallen« mehr.
    »Sie scheinen empört zu sein, Leutnant«, stellte Stephens mit seiner heiseren Stimme und auffallend gleichgültig fest.
    »Wie sollte es auch anders sein, Sir? Sie schickten mich auf das Schiff eines Mannes, der gewiss der feigste Offizier in der Navy Seiner Majestät ist. Obendrein ist er ein Tyrann, dessen Besatzung sich bereits gegen ihn gestellt hatte. Und von mir erwarteten Sie, diesen Mann vor seiner eigenen Unzulänglichkeit zu bewahren. Von Beginn an tat Hart nichts anderes, als meine Autorität zu untergraben und mich vor allen anderen Offizieren bloßzustellen. Die Meuterei auf Harts Schiff wird auf ewig mit meinem Namen in Verbindung gebracht werden, dabei war ich nicht einmal an Bord der Themis, als die Meuterer zuschlugen. Lassen Sie mich noch hinzufügen, dass wir das Schiff den Meuterern wieder entrissen, obwohl sich Hart dagegen aussprach!« Hayden verstummte und merkte erst jetzt, wie sehr er sich in seine Wut hineingesteigert hatte.
    Stephens schien keinen Anstoß an Haydens emotionalen Worten zu nehmen, gab sich andererseits aber auch kein bisschen zerknirscht. »Ich hoffe, es tröstet Sie, wenn Sie erfahren, dass Ihr Bericht an einige einflussreiche Herren weitergeleitet wurde. Und wenn es nach mir ginge, so würde Josiah Hart nie mehr in der Navy Seiner Majestät dienen.«
    Hayden hielt sich mit seinem Unmut nicht zurück. »Und um das zu erreichen, konnten Sie getrost meine Karriere aufs Spiel setzen«, sagte er ungehalten.
    Stephens schaute einen Moment lang zum Fenster hinaus und ließ Hayden nicht an seinen Gedanken teilhaben. Schließlich, immer noch in die Ferne blickend, stellte der Erste Sekretär fest: »Das Kriegsgericht wird in vier Tagen beginnen.« Nun sah er wieder den Leutnant an und nahm das Erstaunen in Haydens Miene wahr. »Das wussten Sie nicht? Da Hart zu Ohren gekommen ist, dass Bourne bald zurückkehrt, hat er sich auf einmal so weit erholt, um sich dem Kriegsgericht zu stellen. Sie können sich vorstellen, dass hinter den Kulissen viel Einfluss geltend gemacht wurde, als es darum ging, welche Kapitäne im Gremium sitzen werden. Ich habe getan, was ich konnte, aber wir werden ja sehen. Andere mögen in diesen Angelegenheiten geschickter sein als ich.« Er stand auf und reichte Hayden die Hand. »Viel Glück, Mr Hayden.«
    Auch Hayden erhob sich, war jedoch verblüfft, jetzt schon gehen zu müssen. Eher widerwillig schüttelte er dem Ersten Sekretär die kleine Hand und fand sich Augenblicke später recht benommen auf der Straße wieder. Stephens hatte willentlich in Kauf genommen, dass Hayden nun so gut wie keine Karriereaussichten mehr hatte. Und dafür hatte er sich nicht einmal

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