Unter feindlicher Flagge
die Reling trat, um ins wartende Beiboot zu klettern. »Achten Sie darauf, dass die Pulvermagazine gut gelüftet sind. Das schöne Wetter wird nicht ewig halten.«
»Die Lüftungsluken stehen bereits offen, Mr Hayden. Ihnen einen angenehmen Aufenthalt an Land, Sir.« Archer verbarg sein Lächeln nicht, und Hayden spürte, dass er selbst lächeln musste.
Als das Beiboot von der Themis ablegte - Hayden hatte sich geweigert, die Gig des Kapitäns zu benutzen -, hatte Hayden Zeit, das Schiff zu betrachten. Männer saßen auf Stellings und trugen Farbe auf die Bordwand auf. Die Atmosphäre war entspannt, die Leute unterhielten sich bei der Arbeit, und auch an diesem Tag war es für die Jahreszeit wieder unnatürlich warm. Die kühle Herbstluft wehte nur nachts heran, geregnet hatte es schon eine ganze Weile nicht mehr.
»Sie sieht sehr gut aus, Price!«, rief Hayden nach oben.
»Danke, Sir.« Price drehte sich auf einer der Planken der Stelling um. »Wenn Kleider Leute machen, Sir, dann müsste ein ordentlicher Anstrich aus dieser alten Dame - nun ja, eine Fregatte machen.«
»Das hätte ich nicht besser ausdrücken können«, antwortete Hayden.
Augenblicke später war er am Kai und traf dort, wie verabredet, Kapitän Hertle, Elizabeth und Mrs Hertles Cousine Henrietta. Erneut schenkte Miss Carthew ihm ein Lächeln, das seinen Puls beschleunigte. Kurz darauf schritt er Seite an Seite mit Henrietta über den Kai, während sich die Hertles bewusst ein wenig zurückfallen ließen und ab und zu stehen blieben, um sich etwas anzuschauen.
»Was für ein außergewöhnlich gutes Wetter, finden Sie nicht?«, meinte Henrietta. »Ich weiß nicht, ob wir schon einmal einen so warmen Oktober hatten.«
Hayden pflichtete ihr höflich bei.
»Wie angenehm für Ihre Besatzung. Wie gehen die Arbeiten voran, Kapitän?«
»Ich bin nur Leutnant, wie Sie ja wissen.«
»Aber Sie sagten doch, Ihr Kapitän habe das Schiff verlassen, und Kapitän Hertle sagte mir, dass in einem solchen Fall der ranghöchste Offizier als Kapitän angesprochen werden darf. Stimmt das etwa nicht?«
»Ja und nein. Würde ich das Kommando über das Schiff erhalten - als stellvertretender Kapitän sozusagen -, dann würde die Mannschaft mich als Kapitän ansprechen, aber da Hart offiziell noch der Kapitän ist und sich nur vorübergehend an Land aufhält, bin ich immer noch nur Erster Leutnant.«
Hayden malte sich aus, dass er und seine Begleiterin die Gegenwart des jeweils anderen als angenehm empfanden. Er stellte sich sogar vor, dass der eine wusste, wie es in dem anderen aussah, doch dann kamen ihm wieder Zweifel. Aber immer wenn sein Pessimismus Überhand nahm, sagte Henrietta etwas, das seine Hoffnung wieder nährte, ganz so, als spüre Henrietta, was er im Augenblick dachte oder fühlte.
Während sie so über den geschäftigen Kai schlenderten und sich ihren Weg durch die Händler und Fischer bahnten, löste sich Landry aus einer Gruppe Männer und Frauen. Mit gesenktem Kopf eilte er davon und schien gar nicht recht zu merken, wohin er eigentlich ging. Im letzten Augenblick gewahrte er dann Hayden und dessen Begleiterin, wirkte ein wenig erschrocken und entschuldigte sich.
»Mr Hayden, Sir. Verzeihen Sie, ich habe Sie nicht gesehen. Madam, bitte entschuldigen Sie.« Schnell nahm er seinen Hut ab und verbeugte sich in Richtung der Dame.
Hayden machte die beiden miteinander bekannt. »Ich bin froh, Sie zu treffen, Mr Landry. Es gibt noch viel zu tun, und wir warten auf die Presskommandos, damit wir wieder eine vollzählige Mannschaft bekommen. Aber darüber sprechen wir an Bord.«
Landry schien sich sichtlich unwohl zu fühlen. Vielleicht war ihm die Begegnung auch peinlich. »Wenn Sie erlauben, Mr Hayden, Kapitän Hart benötigt meine Hilfe, um sich auf das bevorstehende Kriegsgericht vorzubereiten.«
»Um sich auf das Kriegsgericht vorzubereiten - wie meinen Sie das, Mr Landry? Kapitän Hart wird berichten, was sich ereignet hat, und dann werden die Offiziere zu Wort kommen. Das Logbuch und die Aufzeichnungen der Offiziere werden Harts Bericht stützen. Warum dann diese Vorbereitung, von der Sie sprechen?«
»Ich weiß es nicht, Sir. Aber der Kapitän hat mich wissen lassen, dass er meine Dienste für einige Zeit in Anspruch nehmen wird.« Ein wenig hilflos hob er die Hände und zuckte mit den Schultern.
»Er ist der Kapitän, Mr Landry«, sagte Hayden. »Natürlich müssen Sie seiner Bitte nachkommen. Wie geht es ihm?«
»Er erholt sich nur
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