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Unter feindlicher Flagge

Unter feindlicher Flagge

Titel: Unter feindlicher Flagge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sean Thomas Russell
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die Worte nach. Wenn er nachdachte, sah er wie ein Kind aus, das keine Gefühle erkennen ließ. Bei der unschuldigen Miene wusste man nie, was der junge Lord dachte oder fühlte. »Dann sollten wir die Sache auf sich beruhen lassen? Und nichts sagen?«
    Da Hayden in Plymouth vergebens zum Kommandanten gegangen war, um von den widerspenstigen Mannschaftsmitgliedern zu berichten, war er nicht gewillt, ihm jetzt auch noch die Pamphlete zu zeigen. Hart würde ihn nur wieder beschimpfen. Er sah den Midshipman an und fragte sich, warum der junge Wickham ihm überhaupt die heiklen Bücher gezeigt hatte.
    Vielleicht hatte der junge Lord nicht vergessen, was McBride widerfahren war - immerhin hatte Wickham als Einziger zugunsten des Verdächtigen ausgesagt -, und hatte nun Angst, dass sich so etwas wiederholen könnte. Hayden jedoch trug die Verantwortung für die Mannschaft. Einerseits durfte er als Erster Leutnant keine Geheimnisse vor dem Kommandanten haben, andererseits war er von seiner Stellung her nicht befugt, sich mit möglicher Aufwiegelung abzugeben. Gleichzeitig hatte er Bedenken, wie Hart sich verhalten würde. Denn schließlich zählte Aldrich zu den Vollmatrosen - er war fleißig und pflichtbewusst. Ein Meuterer trat anders auf.
    »Ich werde zunächst mit Aldrich sprechen«, sagte Hayden dann. »Immerhin handelt es sich bloß um gedruckte Pamphlete, auch wenn der Autor aufwieglerischer Verleumdung bezichtigt wurde.«
    Wickham nickte und setzte ein schmallippiges Lächeln auf, das auf Erleichterung schließen ließ. Offenbar war der junge Lord froh, dass er die Verantwortung auf den Ersten Offizier abgewälzt hatte und nicht dem Kommandanten Bericht hatte erstatten müssen.
    »Die Sache bleibt unter uns, Mr Wickham?«
    »Ich werde sie mit keinem Wort erwähnen, Sir.« Aber der junge Mann stand immer noch in der Tür, und Hayden fürchtete plötzlich, was Wickham jetzt noch auf dem Herzen haben mochte. »Ist es nicht eigenartig, Mr Hayden, dass der König einige wenige Worte als Bedrohung empfindet? Dass ein kleines Pamphlet wie das dort das Fieber der Revolution anfacht?«
    »Ich vertrete die Ansicht, dass die aufkommenden Ideen zur jeweiligen Zeit passen. Und dies ist die Zeit der republikanischen Ideen - es geht um Freiheit und Menschenrechte. Wir brauchen ja nur einen Blick über den Ärmelkanal zu werfen, um zu sehen, was Ideen bewirken können.«
    »Für die Ereignisse dort dürfte aber auch eine äußerst inkompetente Regierung verantwortlich sein«, fügte Wickham nachdenklich hinzu. »Ich glaube, dass es zu keiner Revolution kommt, solange es eine gerechte Regierung gibt, Mr Hayden.« Er deutete vage auf das Pamphlet. »Das ist nur die Saat, Sir. Sie muss auf fruchtbaren Boden fallen, um wachsen zu können, meinen Sie nicht auch?«
    Hayden zögerte, diesem jungen Lord, den er noch nicht lange genug kannte, Einblicke in seine politischen Ansichten zu gewähren. »Viele würden Ihnen zustimmen, Lord Arthur.«
    »Waren Sie schon einmal in Amerika, Sir?«, fragte der Midshipman.
    »Ja. Meine Mutter lebt dort, in Boston.«
    »Dann ist Ihre Mutter Amerikanerin?«
    »Sie heiratete einen Amerikaner - vor einigen Jahren.«
    »Dann ist sie also Engländerin?«
    »Ursprünglich Französin.«
    »Sprechen Sie deshalb so gut Französisch?«
    Hayden nickte.
    »Ich spreche auch ein wenig Französisch«, sagte Wickham auf Französisch. »Als ich klein war, hatte ich eine französische Gouvernante.«
    »Sie haben einen guten Akzent, Wickham.«
    »Danke, Sir. Dann waren Sie auch in Frankreich?«
    »Schon oft.«
    »Warum sind die Franzosen so blutrünstig geworden, Sir? Mr Aldrich meint, in Frankreich macht sich ein tausend Jahre aufgestauter Groll Luft.«
    Hayden spürte plötzlich ein Gefühl von Enge in der Brust. Genau diese Frage verfolgte ihn oft, wenn er abends nicht einschlafen konnte. »Bei allem Respekt Aldrich gegenüber, aber die Angelegenheit dürfte komplexer sein. Haben Sie je miterlebt, wie sich ein Mob auf den Straßen verhält, Wickham?«
    Der junge Mann schüttelte den Kopf. »Nein, Sir, noch nie.«
    »Einen solchen Anblick vergessen Sie nicht so schnell.« Hayden atmete hörbar durch. »Mobs sind von Natur aus an kein Gesetz gebunden. Es ist schwer zu sagen, gegen wen sich der Mob wendet, wenn die Stimmung der Masse zwischen Gewalttätigkeit und Unentschlossenheit schwankt. Angst treibt die Leute an, so glaube ich jedenfalls. Sobald man in den Sog des Pöbels gerät, ist man selbst in Gefahr. Um zu

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