Unter feindlicher Flagge

Titel: Unter feindlicher Flagge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sean Thomas Russell

Vom Netzwerk:

gefahren, dessen Kommandant sich so verhalten hatte wie Hart - obwohl der Feind in Sichtweite war.
    Landry wandte sich an Hayden. »Ich habe Sie gewarnt, Mr Hayden. Der Kommandant lässt keinen Widerspruch zu.«
    »Aber das sind französische Handelsschiffe, da bin ich mir sicher. Keine Fregatten. Das sieht doch jede Landratte.«
    »Kapitän Hart sieht das aber anders, und er ist länger zur See gefahren als wir beide zusammen.« Landry wandte sich ab, überquerte das Deck und folgte dem Kommandanten. Die Midshipmen zögerten einen Moment, ehe sie sich sichtlich enttäuscht wieder ihren Aufgaben widmeten. Auf dem Vorschiff blieben Barthe und Hayden zurück.
    Die Enttäuschung hatte sich inzwischen auf alle Männer an Bord übertragen. Kaum jemand sprach ein Wort, aber Worte waren auch nicht vonnöten. Die für die Segel zuständigen Matrosen ließen sich kraftlos nieder, und die Männer auf dem Quarterdeck deckten die Geschütze wieder ab und blickten einander kopfschüttelnd an.
    »Was für eine Schande«, murmelte einer.
    »Bitte sagen Sie mir, Mr Barthe«, begann Hayden leise, »dass dies nicht gängige Praxis an Bord von Harts Schiff ist.«
    Der Master nahm seinen Hut ab und schlug sich damit enttäuscht auf den Oberschenkel. »Es ist immer das Gleiche«, sagte er zu laut. »Immer gibt es einen Grund, warum wir den Feind nicht angreifen.« Er nickte in Richtung der sich entfernenden Schiffe. »Jeder Mann an Bord, ja selbst Landry, weiß, dass das dort Handelsschiffe sind. Und doch müssen wir alle so tun, als wären es zwei stark bestückte französische Fregatten. Aber sie fliehen, als wären wir ein Schlachtschiff mit achtundneunzig Geschützen. Es tut mir leid, dass Sie auf dieses Schiff kommen mussten, Mr Hayden. Sie haben Besseres verdient.«
    Für einen Moment schloss Hayden die Augen und kämpfte gegen die Wut an, die wie ein Sturm in seinem Innern tobte. Er durfte seine Pflicht nicht vernachlässigen, und als er dem Master antwortete, sprach er betont ruhig. »Ich muss Sie warnen, Mr Barthe«, sagte er so leise, dass es sonst niemand hören konnte. »Obschon ich Ihren Eifer, den Feind zu stellen, zu schätzen weiß, werden Sie mit dem Kommandanten aneinandergeraten, wenn Sie weiter so reden.«
    Der korpulente Master richtete sich auf. Sein Gesicht war röter als sein Haar. »Lange genug habe ich mich auf seine Grillen eingelassen, Mr Hayden, bis ich jeglichen Respekt vor ihm verloren habe. Ich bin es leid. Soll er mich doch vor ein Kriegsgericht stellen, wenn er es wagt. Und sollte er es wagen, dann wird endlich ans Licht kommen, dass er in letzter Zeit unzählige Male dem Feind ausgewichen ist. Und die Art und Weise, wie er mit Ihnen spricht, Mr Hayden, und dann noch vor der Mannschaft! Das Benehmen ziemt sich nicht für einen Gentleman, Sir. Wenn Sie nicht sein untergebener Offizier wären, dann würden Sie ihn zum Duell fordern. Ja, ich glaube, das würden Sie tun.«
    »Mr Barthe! Sie vergessen sich!«
    »Nein, Sir. Ich vergesse mich nicht. Ich habe mich nur gerade daran erinnert, wer ich früher einmal war.« Der Master gab nun Befehle, die Rahen neu auszurichten und die Segel für den Kurs auf Brest zu setzen. Erneut warf Hayden einen Blick auf die fliehenden Schiffe. Jeder Mann an Bord hätte gern das Prisengeld gehabt - er nicht ausgenommen -, aber viel wichtiger wäre es gewesen, ein feindliches Schiff zu kapern. Denn dadurch hätte sich die Stimmung an Bord schlagartig verbessert. Das hatte Hayden schon ein paar Mal erlebt.
    Was, so fragte er sich wiederholt, würde Philip Stephens dazu sagen? Eine klare Pflichtverletzung. Hart könnte vor ein Kriegsgericht gestellt werden. Das müsste er eigentlich. Aber solange kein anderer Kommandant oder hoher Offizier Zeuge dieses Verhaltens - oder Fehlverhaltens - war, würde es zu keiner Anklage kommen. Viel wahrscheinlicher war es, dass Barthe oder Hayden wegen Gehorsamsverweigerung vors Kriegsgericht kämen - weil sie versuchten, dem Feind nachzusetzen!
    Wo sollte da der gesunde Menschenverstand sein?
    In der Offiziersmesse saß Hayden allein am Tisch. Sosehr er sich auch bemühte, er konnte sich gedanklich einfach nicht von dem Vorfall lösen: Hart hatte sich geweigert, zwei nur mit wenig Geschützen bestückte Handelsschiffe zu verfolgen! Entrüstung und Zorn tobten noch in Haydens Innern. Wenn er daran dachte, dass er unter so einem kleinmütigen Esel dienen musste! Vielleicht wäre es da besser, ganz auf die Karriere zu verzichten und an Aldrichs