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Unter Freunden

Unter Freunden

Titel: Unter Freunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amos Oz
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darüber nach. Denk bis heute Abend darüber nach.«
    Und beim Hinausgehen sagte er noch: »Zwinge die Versammlung nicht, heute Abend die Tür vor dir zuzuschlagen, Jotam, und besonders nicht vor Henja. Denk in Ruhe über meinen Vorschlag nach. Und entscheide dich bitte bis heute Abend.«
    Um zwei Uhr nachmittags, als der Himmel sich wieder schmutziggrau über den Kibbuz wölbte und die heiße Wüstenwindluft alles unter sich erdrückte, verließ Jotam sein Zimmer und durchquerte die Siedlung 3 Richtung Ställe. Der Kibbuz war menschenleer, denn alle genossen die Schabbatmittagsruhe. Er traf nur auf einen durstig hechelnden Hund. Jotam blieb kurz stehen und drehte für ihn einen Wasserhahn in einem der Gärten auf. Der Hund trank geräuschvoll, sein Kopf und seine Schnauze wurden unter dem Wasserstrahl nass, dann schüttelte er sich, dass die Tropfen durch die Luft sprühten, wedelte mit dem Schwanz und knickte in den Vorderbeinen ein, als wollte er sich verbeugen. Jotam streichelte ihn zerstreut und ging weiter. Die kleinen Rasenstücke vor den Häusern waren unter der Hitze zusammengesunken,und die Bäume wirkten leblos, weil kein Windhauch sie bewegte.
    Als er an Nina Sirotas Zimmer vorbeikam, beschleunigte er seine Schritte und hoffte, sie würde nicht zufällig gerade jetzt herauskommen, und zugleich hoffte er, sie würde gerade jetzt aus der Tür treten und mit ihm über Italien sprechen und ihn vielleicht verstehen. Obwohl er eigentlich überhaupt nicht wusste, was er sagen sollte. Der ganze Kibbuz sprach über seinen Antrag, ihn nach Italien reisen zu lassen. Heute Abend würde ihm der Sekretär in der Vollversammlung das Wort erteilen, dreihundert Augenpaare würden ihn zornig anschauen, und noch immer hatte er keine Ahnung, was er sagen sollte. Und wenn Nina jetzt herauskommen würde? Was könnte er ihr sagen?
    Zwischen den Kuhställen türmten sich Gärfutterhaufen, und auf dem sandigen Boden lagen alte Reifen und Metallschrott, zusammen mit einigen verrosteten Milchkannen, die aussortiert worden waren. Brennnesseln, Kletten und Ackerwinde wuchsen zwischen den Ställen, und in diesem Gestrüpp hatten sich vergilbte Zeitungsfetzen verfangen. Jotam ging an den Ställen vorbei zum rückwärtigen Tor des Kibbuz, das wir Misttor nannten. Er ging auf der Straße, die zwischen einemgepflügten Feld rechts und einem Weinberg links entlangführte. Wegen des heißen Wüstenwindes waren das Feld und der Weinberg grau vom Sand, und Jotam spürte, wie der feine Sandstaub durch seine Kleider drang und an seinem verschwitzten Körper kleben blieb. Nicht der kleinste Windhauch bewegte die stickige Luft. Als er am Friedhof vorbeikam, überlegte er einen Moment, ob er zum Grab seines Vaters gehen sollte, der an einer Nierenerkrankung gestorben war, als Jotam elf Jahre alt gewesen war. Dann aber begnügte er sich damit, fünf Minuten auf der Bank am Eingang zum Friedhof zu sitzen. Er dachte an seinen Vater, der einer der Kibbuzgründer gewesen war und sein Leben lang im Kleinviehstall gearbeitet hatte. Im Unabhängigkeitskrieg war er in der Nacht schwer verwundet worden, als Araber von Deir Adschlun und benachbarten Dörfern heruntergekommen waren und den Kibbuz Jikhat abgebrannt hatten. Nach sechs Wochen nahm der Krieg eine Wendung, und Deir Adschlun wurde von der israelischen Armee zerstört, alle Einwohner wurden verjagt, und ihre Felder unter den umliegenden Kibbuzim aufgeteilt. Dann dachte er auch an seinen Onkel, der es gewagt hatte, sich den Beschlüssen der Versammlung zu widersetzen und jeden Kontakt mit dem Kibbuz und dem Staat abgebrochen hatte. Arthur hatte sich nach dem Ende des Unabhängigkeitskriegs geweigert, weiter zu dienen, und sich stattdessen ein Leben nach seinem eigenen Willen und nur nach seinem eigenen Willen aufgebaut. Auch ich kann einfach von hier weggehen und mir ein Leben nach meinem eigenen Willen aufbauen. David Dagan hatte erklärt, jeder Jude, dessen Generation die Shoah und die Aufbaujahre des Staates Israel erlebt habe, jeder einzelne von uns müsse seine Pflicht tun. Auf diese Forderung fand Jotam in sich keine Antwort. Doch da kam ihm plötzlich der biblische Ausdruck in den Sinn: »und sein Ort kennt ihn nicht mehr«. Er stand auf und ging etwa zwanzig Minuten den gewundenen Pfad hinauf zu den Hügeln. Ihm schien, hier in den Hügeln sei die Hitze weniger grausam als unten in der Ebene. Aber das Dornengestrüpp, die Kakteen, die nackten Felsen funkelten vor Hitze, und Jotam hatte das

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