Unter Freunden
an der Arbeit im Dienstleistungsbereich übernehmen müssten, in der Küche, in der Wäscherei, in den Kinderhäusern, um den Frauen so die Freiheit zu geben, auch auf den Feldern zu arbeiten. Als sie ihren Mann Avner Sirota verließ, sagten manche: »Diese Frau kann immer nur alles kaputtmachen.« Andere sagten: »Diese Frau hat beschlossen, die Oppositionsführerin im Kibbuz Jikhat zu werden.« Und noch andere sagten: »Was glaubt sie denn, wer sie ist.«
Zwischen Nina Sirota und dem Kibbuzsekretär Joav Karni herrschte seit der Nacht, als er Wachdienst gehabt hatte, eine vorsichtige Zuneigung und große wechselseitige Aufmerksamkeit. Er beriet sich manchmal mit ihr über Fragen, die auf der Agenda des Kibbuz standen. Dabei akzeptierte er nicht jeden ihrer Standpunkte, doch ihre Ansichten, fand er, zeichneten sich immer durch Originalität, gedankliche Klarheit und Geradlinigkeit aus.
Am Donnerstag sah er sie gegen Abend auf einer Bank am Rand des Rasens sitzen und auf ihre Kinder aufpassen, die im Sandkasten spielten. Er setzte sich neben sie, und beide wechselten ein paar Sätze über die Hitze und über die technischen Probleme im Schwimmbad. Dann sagte Nina, als könnte sie seine Gedanken lesen, dass man bei der Versammlung am Samstagabend versuchen sollte, eine Lösung für die Sache mit Jotams Reise zu finden. Schließlich würde der Kibbuz ihn eines Tages sowieso zum Studieren schicken. Und nun, anlässlich der Einladung seines Onkels, könnte man ihn auf der Warteliste vielleicht vorziehen, unter der Bedingung, dass er einen Beruf erlernte, den der Kibbuz gemeinsam mit ihm aussuchen würde, statt des für uns überflüssigen Berufs eines Maschinenbauingenieurs, den sein Onkel ausgesucht hatte.
Joav fragte: »Zum Beispiel?«
Und Nina antwortete: »Zum Beispiel Tiermedizin. Schließlich haben wir Kühe und Schafe und Hühner. Ganz abgesehen von den Haustieren der Kibbuzmitglieder. Mindestens einmal in der Woche muss ein Veterinär zu uns kommen. Tiermedizin kann man auch in Italien studieren. Und Jotam wird dann nach dem Studium zurückkommen und hier im Kibbuz Jikhat als Tierarzt für uns und die umliegenden Kibbuzim arbeiten.« Und sie fügte hinzu: »Ich glaube, der Beruf des Veterinärs würde sehr gut zu ihm passen.«
Joav dachte über ihre Worte nach, zuckte mit den Schultern und sagte, das könne man möglicherweise, auch wenn es nicht leicht würde, der Vollversammlung vorzuschlagen versuchen, aber nur unter der Bedingung, dass Jotam bereit wäre, sein Studium in Italien um zwei Jahre zu verschieben, bis er an der Reihe sein würde, eine Ausbildung machen zu dürfen.
Nina erwiderte: »Ein Jahr?«
Joav schüttelte den Kopf, wollte etwas antworten, zögerte aber und sagte dann nach einem kurzem Schweigen schließlich: »Man kann es versuchen. Ich werde mit ihm sprechen. Das Problem ist, dass seine Mutter den ganzen Kibbuz unter Druck setzt und dadurch alle gegen ihn aufbringt. Und ein weiteres Problem ist, dass alle aus der älteren Generation noch immer wütend auf Arthur sind, der ihrer Meinung nach damals, während seiner Zeit als Abgesandter, aus demKibbuz desertiert ist. Ich glaube, Jotam ist ein bisschen in dich verliebt, oder? Vielleicht versuchst du, mit ihm zu sprechen.«
»Ich mag ihn auch sehr gern. Aber ich bin nicht sicher, ob er möchte, dass ich mit ihm in dieser Sache spreche. Ich glaube, ich würde ihn nur in große Verlegenheit bringen. Es ist besser, dass du mit ihm sprichst. Ist dir aufgefallen, dass er keine Freunde hat?«
Joav sagte: »Das ist bei uns schwer zu wissen. Alle sind Chaverim * , aber nur wenige sind miteinander befreundet. Ich zum Beispiel habe hier nur zwei, drei wirkliche Freunde. Solche, mit denen man sich, auch ohne ein Wort zu sagen, versteht und wohlfühlt. Ich denke, mehr hast du auch nicht.« Er hätte ihr gern gesagt, dass das, was zwischen ihm und ihr war, einer Freundschaft sehr nahekam, doch er zögerte und verzichtete darauf.
* Chaverim [hebr.]: Freunde; auch: Genossen; Mitglieder.
»In zehn oder zwanzig Jahren«, sagte Nina, »wird sich der Kibbuz in einen Ort von größerer Ruhe und Gelassenheit verwandelt haben. Jetzt sind alle Sprungfedern noch bis zum Äußersten gespannt, und der ganze Apparat zittert vor Anstrengung. Die Veteranen aus derGründergeneration sind eigentlich fromme Menschen, die die Religion verlassen und sich eine neue Religion geschaffen haben, voller Sünden und Vergehen, Verboten und Geboten. Sie haben im Grunde nie
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