Unter goldenen Schwingen
Anklage in Stücke reißt, ist beinahe unwiderstehlich …«
Als ich nicht antwortete, ließ das Funkeln in seinen Augen nach und wich ungläubiger Skepsis.
Ich biss mir auf die Lippen. »Haben Sie … vielleicht eine Idee, wo ich ein Kaninchen herbekomme?«
»Was soll das heißen?«, fragte er fassungslos. »Du hast … gar keinen … Plan?«
Ich zog die Schultern hoch und schüttelte den Kopf.
»Bist du vollkommen übergeschnappt?«, stieß er heiser hervor.
»Ich hatte keine Wahl«, verteidigte ich mich. »Ich musste mir rasch etwas einfallen lassen …«
»Und da bist du auf die Idee gekommen, die Erzengel anzulügen?« Kaster starrte mich entsetzt an. »Das war dein genialer Plan? Bist du wahnsinnig? «
»Ich brauchte mehr Zeit, um mir etwas zu überlegen«, sagte ich kleinlaut.
Er warf einen Blick auf die Uhr. »Gratuliere. Du hast noch sechs Stunden.«
»Ich weiß.«
Kaster atmete lautstark aus. »Wo ist er?«, knurrte er zwischen den Zähnen.
Ich deutete nach draußen. In der Nähe des Tors standen Nathaniel, Ramiel und Seraphela, in ein intensives Gespräch vertieft.
»Er scheint mit seinem Schicksal abgeschlossen zu haben«, murmelte Kaster, ohne seinen Blick von den Engeln zu nehmen. »Er trifft Vorbereitungen für deinen Schutz, wenn er nicht mehr da ist.«
Das war wie ein Schlag ins Gesicht.
»Dazu darf es nicht kommen«, stieß ich erstickt hervor, und versuchte die aufsteigenden Tränen zurückzuhalten.
Kaster fixierte mich wie ein Irrenarzt seinen Patienten. Dann runzelte er plötzlich die Stirn. »Was ist das?« Er deutete auf den Kristallstift um meinen Hals.
»Das ist ein Anhänger, mit einem Teil von …«
» Ich weiß, was das ist! «, donnerte er so plötzlich, dass ich erschrocken zurückwich. »Die Frage lautet: weißt du, was das ist?«
»Melinda Seemann … hat es mir gegeben«, stotterte ich, und griff unwillkürlich nach dem kleinen Kristall. »Es soll mir gegen Lazarus helfen …«
»Sie hat keine Ahnung«, murmelte Kaster zu sich selbst und fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare. »Weißt du, warum es dir gegen Lazarus helfen kann? Weil es ein Anker ist!«
Mein verständnisloser Blick brachte ihn vollends aus der Fassung.
»Jetzt sag mir nicht, du weißt nicht, was ein Anker ist.«
Ich hob entschuldigend die Schultern.
»Ich fasse es nicht. Ich fasse es nicht …«, fluchte Kaster vor sich hin und ging im Wohnzimmer auf und ab. Schließlich blieb er stehen und sah mich an. »Ein Anker ist eine direkte Verbindung zu einem Engel. Und was du da um den Hals trägst, ist ein direkter Draht zu einem Erzengel .«
Mein Hals wurde trocken und ich schluckte. Also das hatte Nathaniel gemeint, als er von einem Anker gesprochen hatte, den er sich von Melinda erhofft hatte.
»Nathaniel wollte einen solchen Anker für Lazarus«, sagte ich leise.
Kaster schüttelte den Kopf. »Diese Anker sind extrem selten. Man kann sie nicht nach Lust und Laune auf dem Jahrmarkt kaufen.«
»Nathaniel dachte wohl, Melinda wüsste, wo ein Anker für Lazarus zu bekommen ist«, sagte ich. »Wenn er einen Anker hat, dann muss er den Schild nicht zerstören, um Lazarus zu finden, nicht wahr?«
Das war nur geraten. Doch Kaster hob die Brauen.
»Ein bisschen Verstand scheint ja doch in deinem Köpfchen zu sein«, brummte er.
»Na, vielen Dank. Wissen Sie, woher ich einen Anker für Lazarus bekommen kann?«
»Klar, hinten in meiner Abstellkammer habe ich Hunderte«, knurrte er. »Sehe ich etwa so aus? Wie kommst du überhaupt auf die Idee?«
Ich beschloss, jede Vorsicht in den Wind zu schlagen. Ich hatte nichts mehr zu verlieren.
»Weil Melinda Seemann eine Erdengängerin ist … so wie Sie?«
Kaster musterte mich verärgert. »Das hat er dir also auch erzählt?«
»Nur das von Melinda. Bei Ihnen bin ich selbst draufgekommen.«
»Ich habe keine Anker, und schon gar keine für Dämonen«, murmelte er schließlich. »Ich habe vor langer Zeit mit dieser Welt abgeschlossen. Doch scheinbar will man mich nicht in Ruhe lassen.« Er warf mir einen ärgerlichen Blick zu.
»Sie … wollten kein Engel mehr sein?«
»Verdammt richtig«, grollte er.
Die nächste Frage lag mir auf der Zunge, doch ich schluckte sie hinunter.
»Wie …?«, fragte ich stattdessen.
»Die Transformation ist kompliziert, die Erzengel müssen zustimmen, alles in allem eine ziemlich aufwändige Prozedur«, knurrte er. »Und was habe ich davon? Ich kann mich nicht mehr umdrehen, ohne gegen einen Engel zu stoßen.
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