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Unter goldenen Schwingen

Unter goldenen Schwingen

Titel: Unter goldenen Schwingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Natalie Luca
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einen Moment in seine roten Augen.
    »Es ist so weit«, flüsterte er mit grausamem Vergnügen in der Stimme.
    Dann schmetterte der Wagen mit der Kühlerhaube voraus in die Friedhofsmauer. Für den Bruchteil eines Augenblicks erschien ein goldenes Schimmern vor meinen Augen und eine vage Empfindung trat in mein Bewusstsein.
    Und alles wurde schwarz.
    »Victoria«, flüsterte Nathaniels Stimme in der Dunkelheit. »Es ist so weit.«

EIN FUNKEN HOFFNUNG

    Ich lag in meinem Bett, an Nathaniels Brust geschmiegt.
    »Victoria«, flüsterte er und seine Stimme klang hohl. »Es ist Zeit …«
    »Ich weiß«, murmelte ich und brachte meine ganze Willenskraft auf, um mich aufzurichten. Ich spürte seinen Widerstand, als er seine Umarmung löste, und mich aufstehen ließ. Doch kaum war ich auf den Beinen, war er an meiner Seite und ergriff meine Hand.
    Schweigend verließen wir die Wohnung und gingen zum Wagen. Ich hatte ein seltsames Gefühl von Leere und Unwirklichkeit in mir, so als wäre das gar nicht ich, die den Wagen über die wenig befahrenen Straßen zum Friedhof lenkte. So spät nachts war kaum Verkehr und die Fahrt dauerte noch kürzer als sonst. Die Zeit zerrann mir zwischen den Fingern.
    Es war kurz vor Mitternacht, als ich auf den verlassenen Parkplatz einbog und das Auto abstellte. Der Friedhof war seit Stunden geschlossen, es befand sich kein Mensch mehr in der Nähe des Geländes. Ich starrte einen Augenblick durch die Windschutzscheibe auf das Haupttor. In Adalbert Kasters Haus brannte noch Licht.
    Plötzlich spürte ich die eisige Kälte, die durch meine Kleidung bis in mein Herz kroch. Zitternd stieg ich aus dem Wagen und Nathaniel landete an meiner Seite. Er nahm meine Hand fest in seine und hob schützend seinen Flügel über mich. Ich spürte die Wärme und das Gefühl von Geborgenheit viel schwächer als sonst … vielleicht war die Gefahr zu ernst, vielleicht war meine Angst zu groß – oder vielleicht war es seine Angst, die zu groß war?
    Wir hatten das Eingangstor noch nicht erreicht, als Nathaniel plötzlich stehen blieb. Er wandte sich mir zu und nahm mein Gesicht zwischen seine Hände. Seine Haut knisterte golden und seine Berührung prickelte auf meinen Wangen.
    »Ich möchte, dass du weißt, wie viel es mir bedeutet, dass du mir helfen möchtest«, flüsterte er. Die Zärtlichkeit, die in seinen Augen brannte, hatte ich bisher noch nie gesehen. Ich vergaß, zu atmen.
    »Du hast mir so viel mehr geschenkt, als ich jemals zu hoffen gewagt habe.« Er vergrub seine Finger in meinem Haar und zog meinen Kopf an seine Brust. »Ganz egal, wie es ausgeht … du hast mich schon gerettet«, flüsterte er. »Vergiss das niemals.«
    Ich schlang meine Arme um ihn und drückte mich fest an ihn. Ich wollte ihn nie wieder loslassen, ich wollte mit ihm davonlaufen, so weit wie möglich fort von der Kapelle und den Erzengeln und dem Tribunal …
    Ich wollte nicht glauben, dass dies möglicherweise unser letzter Augenblick war. Die Vorstellung, ihn zu verlieren, war mehr, als ich ertragen konnte. Und als er sich langsam von mir löste, und sich mit sanfter Gewalt aus meiner Umarmung zog, fühlte ich mich, als würde er mir das Herz aus der Brust reißen.
    Ich spürte, dass er sich selbst vorwärts zwingen musste. Er hielt meine Hand sanft, doch seine Muskeln waren wie zu einer Klaue verkrampft.
    Wir gingen schweigend auf das Friedhofstor zu und Nathaniel öffnete die Eisenriegel für mich. Knarrend schwangen die Tore auf und wir traten ein.
    Wir gingen schweigend an Kasters Haus vorbei. Der sanfte Lichtschein wirkte so einladend, so verlockend, und ich dachte an Pfefferminztee und heiße Schokolade und die selbstgemalten Bilder an den Wänden.
    Doch der Lichtschein blieb hinter uns zurück und der schmale Weg, der zur Kapelle führte, lag in völliger Dunkelheit. Wir gingen an einer Reihe von Gräbern vorbei und standen schließlich vor den hölzernen Eingangstoren.
    »Komm«, sagte Nathaniel mit kalter Stimme. Er fuhr mit einer so raschen Bewegung über die versperrten Tore, dass ich sie kaum wahrnahm.
    Wir traten in das Dunkel der Kapelle und meine Schritte hallten von den steinernen Mauern wider. Der Geruch von Jahrhunderten hing in der kalten Luft, während wir durch die leere Kapelle nach vorne zum Altar gingen.
    Nathaniels goldener Schimmer erhellte das alte Gemäuer gerade genug, dass ich sehen konnte, wohin ich meine Füße setzte. Unruhige Flammen brodelten auf seiner Haut. Ich hielt Nathaniels Arm fest

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