Unter goldenen Schwingen
angerufen. Victoria, hast du irgendein Problem? Ich mache mir langsam ernsthafte Sorgen …«
»Sie hat Sie angerufen?«, fragte ich zögernd.
»Ja. Sie hat mich gebeten, sie zu informieren, ob du heute in der Schule erscheinst. Wieder einmal . Und sie wollte mir nicht verraten, worum es geht.«
Ich schwieg.
»Du weißt, dass ich Vertrauenslehrer bin«, sagte er langsam. »Wenn du also ein Problem hast … ganz egal, was es ist …«
»Ich … habe kein Problem«, murmelte ich.
Wagner blickte mich besorgt an. »Als du mich nach Schutzengeln gefragt hast, hätte ich merken müssen, dass etwas nicht in Ordnung ist«, sagte er. »Weißt du, es ist gut, an Schutzengel zu glauben … aber bei realen Problemen helfen nur reale Lösungen.«
Nathaniel, groß und golden glitzernd, stand direkt neben Wagner und betrachtete ihn mit hochgezogenen Brauen. »Ich bin nicht real?«, murmelte er. »Warum hat mir das bis jetzt niemand gesagt?«
Ich unterdrückte ein Grinsen. »Danke«, sagte ich zu Wagner. »Ich werde es mir merken.«
Er betrachtete mich mit einem enttäuschten Ausdruck. »Vergiss nicht«, sagte er. »Jederzeit … «
»Okay«, murmelte ich unbehaglich.
Im nächsten Moment platzten einige Jungs aus meiner Klasse in den Physiksaal und die restlichen Schüler strömten plaudernd hinter ihnen herein.
Ich ließ mich von der Masse mitziehen und setzte mich auf meinen Platz neben Anne.
»Wir sollten Melinda besuchen«, sagte Nathaniel.
»Yep«, murmelte ich leise, den Blick auf Wagner gerichtet, der mich noch immer sorgenvoll ansah.
»Ist Melinda Seemann da?«
Herbert deutete schwerfällig in Richtung ihres Büros.
Nathaniel und ich gingen den Flur hinunter, ich klopfte an Melindas Tür und wir traten ein.
Melinda blickte von ihrem Schreibtisch auf und ein erleichtertes Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus. Sie erhob sich und eilte uns entgegen. »Ich bin so froh, euch zu sehen! Bitte, kommt herein.« Sie zog uns in ihr Büro. »Wie ist es gelaufen?«
»Ich bin noch hier, wie du siehst«, lächelte Nathaniel. »Victoria hat ein Wunder vollbracht.«
»Ihr Anker war eine große Hilfe«, sagte ich.
»Du weißt also, was der Anhänger ist?« Ihr Blick flackerte zu Nathaniel.
Ich zuckte mit den Schultern. »Er ist unschuldig. Adalbert Kaster … «
»Ich verstehe«, nickte Melinda. »Ich brenne darauf, eure ganze Geschichte zu hören.«
Nathaniel erzählte ihr von dem Tribunal, und in seiner Darstellung erschien meine Leistung viel großartiger, als sie meiner Meinung nach gewesen war.
»Ehrlich gesagt, habe ich am ganzen Körper gezittert«, murmelte ich verlegen. »Wenn Ramiel und Seraphela die Sache nicht in die Hand genommen hätten …«
»Was ist mit Lazarus?«, fragte Melinda. »War er wütend, als er erfahren hat, dass du ihn benutzt hast?«
»Sie sagt nein«, brummte Nathaniel zweifelnd.
»Das ist die Wahrheit«, sagte ich. »Er war nicht wütend. Eher irgendwie … ich weiß nicht, erfreut.«
Zu meiner Verwunderung nickte Melinda. »Das überrascht mich nicht.«
»Wieso?«, fragte Nathaniel in scharfem Ton.
»Soweit ich weiß, ist Lazarus ein Spieler«, sagte Melinda. »Er mag sadistisch und böse sein, doch er ist intelligent. Victoria hat ihm die Stirn geboten, ihn sogar ausgetrickst – das macht die Sache für ihn interessant.« Sie ignorierte Nathaniels entsetzten Gesichtsausdruck. »Die Ewigkeit in der Hölle ist eine lange Zeit«, fuhr sie fort. »Lazarus sucht Zerstreuung. Das ist ein schmaler Grat, auf dem ihr euch bewegt. Irgendwann wird Lazarus die Geduld verlieren, und dann …«
»So weit dürfen wir es nicht kommen lassen«, murmelte ich. Dann griff ich nach der Kette mit dem Anker. »Sicher wollen Sie die zurückhaben.«
Melinda winkte ab. »Behalte sie. Vielleicht wirst du sie noch brauchen.« Dann schenkte sie mir ein Lächeln. »Ich bin sehr froh, dass es euch gut geht. Doch heute bist du es, die ich bitten muss, zu gehen. Ich möchte kurz mit Nathaniel sprechen. Allein.«
Ich erhob mich zögernd. »Okay … ich warte dann draußen.«
Ich verließ Melindas Büro, trottete nach vorne zum Eingangsbereich und fragte mich, was Melinda wohl gerade mit Nathaniel besprach. Plötzlich erregte etwas in einem leeren Gang meine Aufmerksamkeit.
Mitten in ›Psychologie des 20. Jahrhunderts‹ erschien ein silbernes Schimmern. Ich ging mit raschen Schritten in den Gang und blickte verblüfft in Seraphelas schönes Gesicht.
»Was …?«, begann ich verwundert.
»Wir
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