Unter goldenen Schwingen
Kissen.
Nathaniel strich zärtlich über meinen Handrücken. »Erzengel zu treffen, ist anstrengend.«
»Das meine ich nicht«, murmelte ich in das Kissen. »Ich glaube, ich habe zu viel Schinken gegessen.«
Nathaniel lachte leise. »Morgen ist Schule«, sagte er dann.
»Ich weiß«, murmelte ich. »Kommst du mit?«
»Ich weiche nicht von deiner Seite, bis wir einen Weg gefunden haben, mit Lazarus fertig zu werden. Hast du deine Kette?«
Meine Finger fanden den Kristallstift um meinen Hals. »Es wird nicht mehr lange dauern«, sagte Nathaniel. »Ich verspreche es.«
Ich schaltete das kleine Licht ab. »Bleib bei mir«, flüsterte ich in die Dunkelheit. Ich spürte, wie Nathaniel sich neben mir ausstreckte und mich sanft in seine Arme zog. Mein Herz begann, wie verrückt zu flattern.
Er breitete seinen Flügel über uns aus und drückte mich zärtlich an sich. »Für immer«, flüsterte er.
Ich lag ganz still. Ich wusste, dass es nicht sein durfte. Doch ich genoss jeden Augenblick seiner Nähe so sehr, dass ich es nicht über mich brachte, mich von ihm zu lösen. Ich spürte die Wärme, die von ihm ausging, und schloss die Augen.
Und stand auf verbrannter Erde.
Über mir erstreckte sich ein glutroter Himmel und die verdorrte, rissige Erde reichte bis zum Horizont. Tote, schwarze Bäume standen vereinzelt in der Ebene und die Luft war so still, dass mir das Atmen schwerfiel.
Unwillkürlich sah ich mich nach Nathaniels aufgespanntem Körper um – doch mein Blick fiel nur auf Lazarus, der mit verschränkten Armen hinter mir stand, und mich mit glühenden Augen fixierte.
Ich umklammerte meinen Anhänger. »Schon wieder hier?« Ich bemühte mich, gelangweilt zu klingen. »Willst du dir nicht etwas Neues einfallen lassen? Das wird langsam …«
Im ersten Augenblick rührte sich Lazarus nicht. Dann machte er plötzlich einen Satz auf mich zu, wie eine Raubkatze, die sich auf ihre Beute stürzte, und ich riss schützend die Hände vor meinem Körper hoch – doch der erwartete Aufprall kam nicht.
Ich drehte mich verwirrt im Kreis und fand mich auf weißem Marmor wieder. Ich stand in einem Palast, prunkvoll dekoriert, mit hohen Decken und riesigen Kronleuchtern.
»Sagt dir dies mehr zu?« Lazarus’ Stimme klang spottend durch die große Halle.
Ich wirbelte herum.
Er stand vor einem großen Kamin aus weißem Marmor und der schwarze Schimmer seiner Haut und seiner Flügel ließ ihn in dieser Umgebung noch beängstigender aussehen. Seine glühenden roten Augen waren auf mich gerichtet, während er langsam auf mich zu kam.
Er klatschte in die Hände – ein spöttischer Applaus. »Wie ich höre, hast du ihn gerettet.« Seine Stimme war ein gefährliches Flüstern und er blieb dicht vor mir stehen.
Mein Herz raste, doch ich wich nicht zurück.
Der Blick seiner dunkelroten Augen wanderte langsam über mein Gesicht. »Wie hast du es angestellt?« Seine Stimme klang beinahe zärtlich. Sie jagte mir eine Gänsehaut über den Körper.
»Ich hatte Hilfe«, erwiderte ich und zwang mich, in seine glühenden Augen zu blicken. » Danke , übrigens.«
Für einen Moment glaubte ich, etwas wie Überraschung in seinem Gesicht zu erkennen. Doch dann setzte er wieder die übliche, undurchdringliche Maske auf, und ein kaltes Lächeln erschien auf seinen Lippen.
»Ich habe dich tatsächlich unterschätzt«, sagte er in leisem, bedrohlichem Ton. Ganz langsam begann er, um mich herum zu gehen, ohne mich dabei aus den Augen zu lassen.
»Die Männer bei der U-Bahn?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Mein Schwur vor der Kirche?«
»Ablenkungsmanöver«, erwiderte ich.
Er blieb stehen und nickte kaum merklich. »Der Unfall.«
Sein Blick war auf mich geheftet und er beobachtete meine Reaktion genau.
Doch ich hatte gar nicht vor, ihn zu täuschen. Ich drehte mich zu ihm und sah ihm direkt ins Gesicht.
»Nathaniels Eingreifen war erfleht. Und du hast mir geholfen, es zu beweisen.«
Lazarus rührte sich nicht. Sein Blick ruhte eine Weile auf mir, völlig reglos.
Er war nicht zornig, so wie ich es erwartet hatte. Er blickte mich einfach an, in einer Art und Weise, als sähe er mich zum ersten Mal.
»Ich spüre, wie sehr du mich fürchtest«, murmelte er nachdenklich. »Woher nimmst du den Mut, mich herauszufordern?«
Ich versuchte jetzt erst gar nicht mehr, das Beben in meiner Stimme zu verbergen. »Warum hörst du nicht auf, mich zu quälen?«
Ein grausames Lächeln huschte über seine Lippen. »Beantworte meine Frage und ich
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