Unter goldenen Schwingen
Recht …« Der Polizist deutete auf den Bildschirm. »Der Autofahrer, der den Notarzt verständigt hat, war auch dort.«
Mein Herz schlug schneller. »Ihn meine ich! Er hat mich aus dem Wrack gezogen.«
»Seiner Aussage zu Folge hat er Sie neben dem Wagen liegend gefunden.«
»Was? Warum behauptet er so etwas?« Und dann erinnerte ich mich … der Polizist musste den Mann meinen, der mich angesprochen hatte, während mein Retter mich festgehalten hatte. »Er war es nicht!«
»Wer war was nicht?«, fragte der Beamte irritiert.
»Dieser Autofahrer! Er war es nicht, der mich gerettet hat.«
»Genau das hat er auch gesagt«, sagte der Polizist langsam und sah mich an, als zweifelte er an meinem Verstand. »Sie haben sich wohl selbst aus dem Auto …«
»Nein!« Ich schüttelte ungeduldig den Kopf. »Er hat ihn aber gesehen. Er muss ihn gesehen haben!«
»Wie bitte?«
»Dieser Mann! Was hat er gesagt? Hat er ihn … ich meine, hat er jemanden gesehen?«
Der Beamte runzelte wieder die Stirn. »Nein. Die Aussage des Autofahrers deckt sich mit den Aussagen der Kollegen und der Sanitäter.«
»Aber das ergibt doch überhaupt keinen Sinn. Wer soll mich denn aus dem Wagen gezogen haben?«
Er blickte mich zweifelnd am Bildschirm vorbei an. »Waren Sie verletzt?«
»Nein, das nicht, aber ich war eingeklemmt …«
Der Polizist blies die Backen auf und ließ seine Augen zurück zum Bericht wandern.
»Ich erinnere mich, dass ich eingeklemmt war, und dass mich jemand aus dem Wrack geborgen hat«, beharrte ich. »Ein großer Mann, mit hellen Haaren …«
»Der Autofahrer, der den Notruf gewählt hat?«
»Nein, der ist erst später dazugekommen.« Meine Stimme klang ungeduldig. »Aber ich weiß genau, dass er den Mann gesehen hat, der mich gerettet hat. Können Sie mir die Nummer des Autofahrers geben? Ich würde ihn gern selbst fragen.«
Die Stimme des Polizisten klang reserviert. »Das sind vertrauliche Daten, die darf ich nicht an Sie weitergeben.«
Ich starrte ihn fassungslos an. »Hören Sie, dieser Mann hat mir das Leben gerettet. Er hat mich befreit und ist bei mir geblieben, bis die Sanitäter da waren.«
»Sie waren definitiv allein, als die Rettungskräfte eingetroffen sind.« Langsam klang er genervt. »Zwei Sanitäter, ein Notarzt und zwei Polizisten können das bestätigen. Wenn Sie jemandem Ihr Leben verdanken, dann dem Autofahrer, der den Notruf getätigt hat.«
»Aber …«
»Manchmal beeinträchtigt ein Trauma die Erinnerung an ein Ereignis.« Der Polizist sprach langsam und sein Tonfall gab mir das Gefühl, dass er mich für nicht ganz dicht hielt. »Denken Sie nochmal darüber nach, woran Sie sich tatsächlich erinnern, und kommen Sie in den nächsten Tagen auf die Wache, um Ihre endgültige Aussage zu machen.« Er reichte mir seine Karte.
Ich erkannte, dass es sinnlos war, weiter zu diskutieren, nahm seine Karte und verließ das Büro.
Was war hier gerade passiert?
Auf dem Heimweg grübelte ich darüber nach, was ich jetzt tun sollte. Dieser Autofahrer hatte direkt neben meinem Retter gestanden. Ich musste an ihn rankommen. Doch wie? Als ich die Wohnung betrat, läutete mein Telefon.
»Victoria? Wie geht es dir, mein armes Mädchen?«
Ich erkannte den säuselnden Tonfall. »Rita«, seufzte ich. »Was wollen Sie?«
»Ich habe mir Sorgen gemacht. Dein Papa sagte mir, du hattest einen schlimmen Unfall …«
» Was wollen Sie? «
Ritas Interesse an meinem Vater war seit der Krankheit meiner Mutter deutlich gestiegen, und es schloss mich definitiv nicht mit ein. Ihr Tonfall wechselte rasch von zuckersüß zu unterkühlt. »Dein Papa hat mich gebeten, eine Dankeskarte an das Krankenhaus zu schicken. Ich brauche die Nummer der Station und die Namen der behandelnden Ärzte.«
»Fragen Sie doch meinen Papa .«
Ihre Stimme klang ungeduldig und gestresst. »Der ist in einem dringenden Meeting. Ich kann ihn nicht mit solchen Banalitäten belästigen.«
Ich imitierte ihren Tonfall. »Ich hatte einen schweren Unfall. Ich kann mich nicht an solche Banalitäten erinnern.« Ich hörte, wie Rita nach Luft schnappte.
»Ich werde das Krankenhaus anrufen und mich erkundigen«, sagte sie spitz. Dann wurde ihr Tonfall glatt wie eine Klinge. »Gute Besserung, Victoria.«
»Ach, Rita?«
Sie wartete schweigend am anderen Ende der Leitung.
»Schreiben Sie meinen Namen diesmal richtig.«
Eine Dankeskarte an die Station? dachte ich wütend, als ich auflegte. Um sein schlechtes Gewissen zu beruhigen?
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