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Unter goldenen Schwingen

Unter goldenen Schwingen

Titel: Unter goldenen Schwingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Natalie Luca
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Sträucher, die sich an der Friedhofsmauer hinaufrankten.
    Verblüfft beobachtete ich, dass Kaster plötzlich einen Teil der Mauer wegdrückte. Der Friedhofswärter trat zur Seite und ich sah, dass es sich um eine versteckte, vollkommen bewachsene Holztür handelte. Die Tür war sehr niedrig und ich musste mich bücken, um hindurchzuspähen. Mein Blick fiel auf dichtes Gebüsch, dahinter lag die Straße.
    »Hundert Schritte von meinem Haus entfernt.« Kaster zog die Tür wieder zu. »Mehr oder weniger. Du musst von außen fest dagegen drücken, das Schloss ist ein wenig eingerostet.«
    »Warum zeigen Sie mir diese Tür?«
    »Sie ist recht nützlich, wenn du außerhalb der Öffnungszeiten vorbeischauen willst. Man kann ja nie wissen.« Er drehte sich um und stapfte den Weg durch den Garten zurück. »Es gibt noch etwas anderes, das ich dir zeigen will.«
    Ich hatte keinen Schimmer, was er vorhatte, und folgte ihm gespannt. Er ging an der Rückseite der Kapelle entlang, bis er bei einer unscheinbaren Tür stehen blieb.
    »Die Flügeltüren sind meist versperrt. Diese hier ist es nicht.« Er drückte die rostige Klinke nieder. Die Tür quietschte, als Kaster sie aufstieß. »Nach dir.«
    »Ich würde lieber nicht hineingehen«, sagte ich zögernd.
    Kaster blickte mich forschend an. »Aus welchem Grund?«
    »Als ich das letzte Mal dort drinnen war – war das beim Begräbnis meiner Mutter.«
    »Ich verstehe«, sagte Kaster leise. »Diesmal ist es anders. Vertrau mir.«
    Ich rang mit mir selbst.
    »Eines Tages wirst du verstehen, wie wichtig das hier ist«, murmelte Kaster eindringlich.
    Ich atmete tief durch. Dann beugte ich mich vor und trat durch die Tür.
    Das Innere der Kapelle lag im Halbdunkel. Nur wenig Tageslicht fiel durch die schmalen, hohen Fenster an beiden Seiten. Die kalte Luft roch nach altem Holz und Stein. Ich ging langsam zwischen den Bänken durch und ließ meine Hand über die Lehnen gleiten. Meine Schritte hallten von den Wänden.
    »Diese Kapelle ist über zweihundert Jahre alt«, sagte Kaster leise.
    Ich betrachtete die kunstvollen Fensterbögen aus hellem Stein und die gemeißelten Figuren an den Säulen, die in die Wände eingearbeitet waren. Es waren schlichte Abbilder von Engeln mit geschwungenen Flügeln.
    »Damals ist mir nicht aufgefallen, wie schön es hier drinnen ist«, flüsterte ich.
    »Verständlich«, murmelte er.
    Ich löste meinen Blick von den Bildhauereien und wandte mich Kaster zu. »Warum haben Sie mich hergebracht?«
    »Du hast mir vorhin erzählt, dass du zum Friedhof kommst, wenn es dir schlecht geht.«
    »Wenn Sie das sagen, klingt es, als wäre ich nicht ganz dicht.« Ich lehnte mich an eine Holzbank und betrachtete die steinernen Engel. »Wissen Sie, einer meiner Lehrer hat mir gesagt, dass es gut ist, einen Ort zu haben …« Ich suchte nach den richtigen Worten.
    »… an dem man sich sicher fühlt?«, bot Kaster an.
    Ich nickte. Er hatte Recht, es ging darum, sich sicher zu fühlen. Und merkwürdiger Weise fühlte ich mich auf dem Friedhof sicher. Wahrscheinlich war ich tatsächlich nicht ganz dicht.
    »Hör mir gut zu«, sagte Kaster ernst. »Möglicherweise wird eine Zeit kommen, da wird dir das Friedhofsgelände nicht mehr helfen. Wenn es so weit ist, möchte ich, dass du hierher kommst. Hast du mich verstanden?«
    Ich nickte langsam. Plötzlich machte der alte Mann mir Angst.
    »Warum sagen Sie so etwas?«, fragte ich leise.
    Kaster blickte mich lange an. »Weil ich mir Sorgen um dich mache. Du bist in etwas hineingeraten, das böse enden kann.«
    Ich schluckte trocken. »Wovon sprechen Sie?«
    Kaster trat einen Schritt näher auf mich zu. »Davon, dass er zum zweiten Mal aufgetaucht ist«, murmelte er. »Und davon, dass du nicht aufhören wirst, nach ihm zu suchen.«
     
    Ich hetzte den schmalen Weg entlang durch den Garten hinter der alten Kapelle. Dichtes Grün umgab mich und der Weg schlängelte sich zwischen Büschen und Sträuchern durch. Irgendwo hier musste der Ausgang sein … ich hastete um die nächste Biegung, und erschrak.
    Vor mir stand ein lebensgroßer, aus hellem Stein gemeißelter Engel. Der Engel drehte sein steinernes Gesicht und blickte mich aus leeren Augen an. Ich stolperte zurück und suchte einen anderen Weg. Willkürlich nahm ich die nächste Abzweigung – und stand vor einem zweiten, steinernen Engel.
    Irgendetwas stimmte nicht. So groß hatte ich den Garten nicht in Erinnerung … ich rannte zurück zu dem Brunnen in der Mitte und

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