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Unter goldenen Schwingen

Unter goldenen Schwingen

Titel: Unter goldenen Schwingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Natalie Luca
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hinter dem Schalter.
    Er deutete gelangweilt auf eine schlanke Frau, die am Ende des Gangs mit zwei Studenten sprach. Sie wirkte selbst wie eine junge Studentin und trug einen grauen, knielangen Rock, eine Bluse und eine helle Strickweste. Ihr rotes Haar hatte sie hochgesteckt.
    Als ich mich ihr näherte, bemerkte ich erstaunt, dass sie bereits Mitte vierzig sein musste. Ihre konservative Kleidung täuschte nicht darüber hinweg, dass sie eine auffallend schöne Frau war. Sie hatte filigrane Gesichtszüge, hohe Wangenknochen und ungewöhnlich strahlende Augen.
    Ich blieb einige Schritte entfernt stehen. Ich fühlte mich unbehaglich und fehl am Platz in dieser riesigen, respekteinflößenden Bibliothek. Erst als die Frau das Gespräch mit den Studenten beendet hatte, nahm ich meinen Mut zusammen, und trat zu ihr.
    »Entschuldigen Sie bitte … Frau Seemann?«
    Die Bibliothekarin betrachtete mich einen Moment mit forschendem Blick. Dann erschien ein Lächeln auf ihrem Gesicht.
    »Du musst Eduards Schülerin sein«, stellte sie freundlich fest.
    Ich nickte nervös. »Mein Name ist Victoria Winter.«
    »Melinda Seemann.« Sie schüttelte meine Hand. »Du musst Eduard ja ganz schön auf die Nerven gegangen sein, dass er dich zu mir schickt.«
    »Ich … äh …«, begann ich stotternd, doch die Bibliothekarin schmunzelte nur.
    »Also, was ist es, das ich für dich tun kann?«
    Ich zögerte. Melinda Seemann war freundlich, doch ich fand, dass sie etwas Einschüchterndes an sich hatte.
    »Ich würde gerne etwas recherchieren … «, sagte ich unsicher.
    »Das habe ich mir gedacht«, erwiderte sie trocken.
    Ich rang mit mir. Ich war drauf und dran, diese Frau inmitten der Universitätsbibliothek, dem Zentrum wissenschaftlichen Wissens, nach etwas zu fragen, an dessen Existenz ich selbst nicht glaubte.
    Oder bisher nicht geglaubt hatte.
    Melinda Seemann blickte mich wartend an.
    »Ich suche«, sagte ich und atmete tief durch, »nach Informationen zum Thema Schutzengel.« Ich hielt den Atem an, und sah die Bibliothekarin zweifelnd an. Würde sie mich auslachen? Oder einfach gleich hinauswerfen?
    Doch Melinda Seemann lachte nicht. Sie hatte einen seltsamen Ausdruck im Gesicht, den ich schon einmal gesehen hatte. Wo war es nur gewesen?
    »Aus welchem Blickwinkel?«
    »Wie bitte?«, fragte ich, überrascht von Frau Seemanns ernsthaftem Ton.
    »Aus welchem Blickwinkel?«, wiederholte sie. »Kunsthistorisch, völkerkundlich, theologisch?«
    »Ich … weiß nicht«, stammelte ich. »Ich denke, ähm, völkerkundlich und theologisch …?«
    »Hier entlang.«
    Verblüfft folgte ich ihr den Gang entlang und durch den Eingangsbereich.
    »Der Bibliothekskatalog ist online abrufbar«, sagte Melinda Seemann und zeigte auf die Computerterminals. »Herbert kann dir zeigen, wie man den Katalog verwendet.« Sie deutete auf den jungen Mann am Schalter.
    »In Ordnung«, murmelte ich.
    Ich musste mich beeilen, um mit Frau Seemann Schritt zu halten. Sie führte mich durch mehrere Gänge in den hinteren Teil der Bibliothek. Ich staunte über die endlos scheinenden Reihen von Büchern.
    »Das hier ist der Studienbereich«, sagte Frau Seemann mit gedämpfter Stimme, als wir an langen, ebenholzfarbenen Tischen vorbeikamen, auf denen grüne Leselampen mit goldenen Schirmen standen.
    Die Bibliothek war gut besucht. Dutzende Studenten saßen an den Tischen, ihre Unterlagen ausgebreitet, konzentriert über Bücher oder Laptops gebeugt. Mir fiel auf, dass sich die Studenten nur im Flüsterton unterhielten. Überhaupt lag eine ehrfürchtige Ruhe über der riesigen Bibliothek.
    »Auf dieser Seite beginnt die Abteilung der Völkerkunde.« Frau Seemann deutete auf endlose Regalreihen zu meiner Rechten. »Und dort drüben findest du katholische und evangelische Theologie.« Sie wies auf einen Bereich weiter entfernt. »Was ist dein Forschungsansatz?«
    Ich blickte sie wortlos an und fühlte mich wie ein Idiot. Ich hatte keine Ahnung, was ein Forschungsansatz war. Ich wollte einfach nur wissen, ob die einzige Idee, die mir zu den merkwürdigen Geschehnissen der letzten Zeit gekommen war, tatsächlich eine mögliche Erklärung sein konnte. Doch ich zweifelte daran, dass ›Ich will herausfinden, ob mich ein Schutzengel gerettet hat, oder ob ich einfach irre bin‹ in Melinda Seemanns Augen ein akzeptabler Forschungsansatz war.
    Die Bibliothekarin interpretierte mein hilfloses Schweigen richtig.
    »Grundlagenliteratur, also«, sagte sie trocken und ging zielstrebig

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