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Unter goldenen Schwingen

Unter goldenen Schwingen

Titel: Unter goldenen Schwingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Natalie Luca
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die Tür schloss, hörte ich Kaster drinnen verärgert vor sich hinmurmeln.
    Mir blieb nichts anderes übrig, als zur Unfallstelle zu marschieren. Ich stapfte an der Straße entlang durch das inzwischen matschige Gras. Es war früher Nachmittag, hin und wieder fuhr ein Auto an mir vorbei, doch die Atmosphäre fühlte sich ganz anders an als am Tag zuvor. Es war ruhig und ich fühlte nichts Unheimliches oder Bedrohliches.
    Ich erreichte das Wrack und sah mich um. An der Stelle, an der der Wagen meiner drei Angreifer gestanden hatte, waren die Reifenspuren vom Vortag deutlich zu sehen. Ich entdeckte einige Bierflaschen im Graben und die Fußspuren der Männer in der nassen Erde.
    Genau an dieser Stelle hatte der blonde Mann am Vortag gestanden, und keine fünf Schritte entfernt hatte er am Tag des Unfalls neben mir gekniet. Ich ging ein paar Mal auf und ab und blickte mich erwartungsvoll um.
    Nichts.
    Ich spähte die Straße hinunter.
    Menschenleer.
    Plötzlich dämmerte mir, dass ich allein auf einer verlassenen Landstraße neben einem Friedhof stand.
    Ich fühlte mich wie ein Idiot. Hatte ich tatsächlich erwartet, dass er aus dem Nichts auftauchen würde? Bloß, weil ich hier herumstand, mit einem Anhänger um den Hals?
    Ich begann, an meinem Verstand zu zweifeln. »Was tust du eigentlich?«, flüsterte ich zu mir selbst. Entschlossen drehte ich mich um und stapfte zurück zum Friedhof. Ich beschloss, nach Hause zu fahren. Doch vorher musste ich noch etwas tun.
    Ich marschierte ohne einen Blick an Kasters Haus vorbei und überquerte den Friedhof, bis ich vor dem Grab meiner Mutter stand. Es war zu kalt, um mich auf den feuchten Boden zu setzen, also blieb ich stehen und starrte auf den Grabstein. Meine Gedanken kamen zur Ruhe und ich fühlte mich besser.
    »Hat es funktioniert?«
    Es war nicht nötig, mich umzudrehen. Ich erkannte Kasters brummenden Ton. »Was denken Sie denn?«
    »Ich denke, dass du an der Unfallstelle gestanden hast, und deine Zuversicht, ihn zu finden, sich in nichts aufgelöst hat. Du hast die Hoffnung verloren und aufgegeben.«
    Ich blickte ihn überrascht an.
    »Warum bist du hierher zurückgekommen?«
    Ich zuckte mit den Schultern. »Ich fühle mich besser, wenn ich hier bin.«
    Kaster sah mich eindringlich an. »Und warum, glaubst du, ist das so?«
    »Ich weiß nicht … vielleicht liegt es am Grab meiner Mutter.«
    Tatsächlich hatte ich nie darüber nachgedacht, warum ich mich hier – auf einem Friedhof – besser fühlte.
    Kaster ließ seinen Blick über die Gräber schweifen. »Wie oft warst du in den letzten Monaten hier?«
    »Ich … habe nicht mitgezählt.«
    »Jeden Tag?«
    »So gut wie. Was soll die Frage?«
    Kaster verdrehte wie hilfesuchend die Augen. »Und er hält dich für intelligent. Ehrlich, Mädchen.« Er drehte sich um und ging Richtung Ausgang.
    Ich sah ihm verdutzt nach.
    »Komm schon!«, rief er ungehalten. »Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit!«
    Ich stutzte, doch dann siegte meine Neugier. Ich lief ihm nach und holte ihn nach wenigen Schritten ein. »Wohin gehen wir?«
    »Wart’s ab.«
    Kaster steuerte auf sein Haus zu, doch dann ging er daran vorbei. Ich folgte ihm, ohne die leiseste Ahnung, was er vorhatte.
    Auf der Innenseite der Friedhofsmauer wuchsen dichte wilde Büsche. Sträucher und Bäume säumten den Weg. Plötzlich begriff ich, wohin wir gingen.
    Und es gefiel mir gar nicht.
    »Warst du schon einmal hier?«, fragte Kaster.
    »Ein Mal«, murmelte ich düster.
    Vor uns ragte die Friedhofskapelle empor, ein altes Gebäude aus Stein, mit Flügeltüren aus dunklem Holz. Kaster ging am Eingang der Kapelle vorbei. Rätselnd folgte ich ihm um das Gebäude herum und war überrascht.
    Hinter der Kapelle befand sich ein alter, kleiner Garten. Schmale, ausgetretene Wege schlängelten sich durch den dschungelartigen Wildwuchs. In der Mitte befand sich ein moosbewachsener Steinbrunnen, umgeben von in Steinen eingefassten Kräuterbeeten. Der Garten reichte bis zur bewachsenen Friedhofsmauer. Alte Holzlauben säumten den Rand, vollkommen zugewachsen mit überhängenden Ranken. Man sah den Pflanzen an, dass es bereits Herbst war, doch ich konnte mir vorstellen, wie der Garten aussah, wenn die Pflanzen in voller Blüte standen.
    »Es ist wunderschön«, murmelte ich.
    »Dieser Garten ist schon sehr alt. Komm mit, ich möchte dir etwas zeigen.«
    Ich folgte dem alten Mann an dem Brunnen vorbei zu der Holzlaube im hintersten Winkel des Gartens. Er griff mit der Hand in die

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