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Unter goldenen Schwingen

Unter goldenen Schwingen

Titel: Unter goldenen Schwingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Natalie Luca
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legte seine Hand auf meine Schulter. Seine Berührung durchfuhr mich wie ein Blitz.
    »Ja … natürlich«, erwiderte ich verwirrt.
    »Ehrlich gesagt, war ich überrascht.« Seine Augen strahlten.
    Ich schwieg, versunken in die Erinnerungen an den Tag, an dem er mich aus dem Auto gezogen hatte.
    »Ich habe mich nie dafür bedankt, dass du mein Leben gerettet hast«, murmelte ich nach einer Weile.
    Ein seltsamer Ausdruck trat in seine Augen. »Ich würde es jederzeit wieder tun.«
    »Das hast du schon«, sagte ich leise. »Die Männer, die mich beim Friedhof angegriffen haben … du hast sie aufgehalten.«
    »Natürlich.«
    »Danke, übrigens«, murmelte ich verlegen.
    Er schmunzelte und neigte den Kopf.
    Es begann zu regnen. Die Regentropfen fielen auf die Hecken und den Magnolienbaum und sprenkelten dunkle Flecken auf den Asphalt. Nathaniel hob seinen Flügel und breitete ihn aus, golden glitzernd und strahlend weiß, bis er wie ein schützendes Dach über mir hing. Ich wischte mir einige Regentropfen aus der Stirn. Plötzlich fiel mir auf, dass sein Gesicht trocken war.
    »Du wirst nicht nass?« fragte ich erstaunt.
    Er schüttelte mit einem entschuldigenden Lächeln den Kopf. Ich betrachtete ihn staunend. Es war, als könnte der Regen ihn nicht berühren. Seine Aufmerksamkeit galt meinem schützenden Flügeldach, als wollte er sichergehen, dass ich auch wirklich im Trockenen stand.
    »Ist dir auch warm genug?«, fragte er, doch noch bevor ich antworten konnte, spürte ich, wie er angenehme Wärme von seinem Flügel auf mich herab strahlen ließ. Sie strömte wie flüssige Geborgenheit durch meinen Körper.
    Das Gefühl von Wärme und die Sicherheit seiner Nähe erinnerten mich an die Nacht, als ich in seinen Armen auf der Straße gelegen hatte, und das Unwetter um uns getobt hatte. Und plötzlich dämmerte mir etwas.
    »Du hast mich mit deinen Flügeln geschützt«, sagte ich langsam. »Auf der kalten Straße, in dem Sturm … deshalb habe ich nicht gefroren, nicht wahr?«
    Er nickte.
    Ich stellte mir die Gesichter von Baumann und den Rettungsleuten vor, wenn sie bei ihrer Ankunft die wahre Szene hätten sehen können. Nathaniel schmunzelte bei meinen Gedanken. Eine Weile lauschten wir den prasselnden Regentropfen und sahen zu, wie das Wasser kleine Pfützen bildete. Es war fast so wie am Abend zuvor in der alten Kirche – es gab nur ihn und mich.
    »Darf ich dich noch etwas fragen?«
    »Schieß los«, lächelte er.
    »Die Eisentore gestern in der Kirche … ist das deine Art, Türen aufzumachen?«
    »Manchmal«, antwortete er schulterzuckend. »Es kommt allerdings eher selten vor, dass ich Türen öffne.«
    Natürlich. Daran hatte ich nicht gedacht. »Du hast die Kirchentür für mich geöffnet«, begriff ich.
    »Für mich gibt es keine Türen, keine Wände – menschliche Barrieren gelten nicht für mich.«
    »Apropos Barriere … es wäre hilfreich, wenn du mir sagen würdest, wer über dich Bescheid weiß. Ich habe heute beinahe jemandem von dir erzählt.«
    Nathaniel sah nicht im Geringsten beunruhigt aus. »Und hat er dir geglaubt?«
    »Ich sagte ›beinahe‹.«
    » Hätte er dir geglaubt?«
    »Wahrscheinlich nicht«, gab ich zu.
    Er lächelte unbekümmert. »Problem gelöst.«
    Ich schüttelte den Kopf. »Ich hatte wirklich Angst, versehentlich dein Geheimnis zu verraten.«
    »Hättest du selbst es geglaubt, wenn, sagen wir, Melinda es dir erzählt hätte?«
    »Nein. Aber …«
    »Menschen brauchen Beweise. Und unsere Existenz ist nicht einfach zu beweisen. Mach dir keine Sorgen.« Er streichelte beruhigend über meinen Arm. Seine Berührung knisterte in meinem ganzen Körper.
    Verwirrt senkte ich meinen Blick und ließ ihn über die alte Wippe gleiten. Das nasse Metall glänzte.
    »Ich weiß so wenig über deine Fähigkeiten«, sagte ich leise. »Kannst du überall hingehen? Und alles tun?«
    »Nein. Auch ich habe meine Grenzen.«
    Ich konnte mir nicht vorstellen, was ein Geschöpf wie ihn zurückhalten könnte. »Wieso?«, fragte ich vorsichtig. »Welche Grenzen gelten denn für dich?«
    »Es gibt Regeln, auch für mich. Menschliche Träume, zum Beispiel, sind für Engel tabu. Und ich brauche die Erlaubnis, um an bestimmte Orte gehen zu können.«
    »Die Erlaubnis? Wer bestimmt denn, wohin du gehen kannst?«
    »Es gibt Gesetze, an die ich mich halten muss. Vor allem gibt es jemanden, dessen Wünsche ich bedingungslos erfüllen muss.«
    »Wer ist das? Einer der obersten Engel?«
    »Nein.« Er

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