Unter Haien - Neuhaus, N: Unter Haien
unwichtig man eigentlich ist.«
»Ist man das? Unwichtig?«
Alex sah ihn an und spürte, dass seine Frage ernst gemeint war.
»Im Verhältnis zur Natur – ja. Denken Sie nur daran, in wie vielen Millionen Jahren unsere Erde entstanden ist. Was ist dagegen ein Menschenleben? Und wen interessiert eigentlich, was man tut und für was man sich abrackert, wenn man plötzlich nicht mehr da ist?«
»Das sind ziemlich beängstigende Gedanken.«
»Ich weiß nicht. Ich finde, der Lauf der Natur in seiner Stetigkeit ist etwas sehr Tröstliches.«
»Sie sind ja eine Philosophin«, stellte Nick fest. Alex sah ihn scharf an, um festzustellen, ob sie eine Spur von Spott in seiner Stimme gehört hatte, aber er hatte es ehrlich gemeint.
»Nein«, sie lachte verlegen, »ich bin vielleicht etwas ins Schwärmen geraten.«
Sie wunderte sich, wie offen sie mit Nick Kostidis sprechen konnte. Mit Sergio hatte sie sich noch niemals so unterhalten.
»Auf jeden Fall haben Sie mein Interesse an Europa geweckt«, sagte Nick. Sie sahen sich einen Augenblick schweigend an, dann wandte Alex den Blick ab. Sie wollte das Gespräch nicht in einen zu persönlichen Bereich abgleiten lassen.
»Ich konnte es gar nicht fassen, dass ich ausgerechnet neben Michael Campione sitzen durfte. Ich habe früher sehr für ihn geschwärmt«, sagte sie und lächelte.
»Tatsächlich?« Nick schien auch froh, wieder über ein unverfängliches Thema sprechen zu können. »Mike ist ein alter Freund von mir. Wir sind im selben Viertel aufgewachsen und hatten ähnlich ehrgeizige Träume.«
»Haben Sie Ihre Träume verwirklicht?«, fragte Alex.
»Ich habe viele meiner Ziele erreicht«, Nick blickte sie ernst an, »aber mit Träumen ist das so eine Sache …«
»Von den Schattenseiten träumt man nicht«, sagte sie und er nickte.
»Das stimmt«, bestätigte er. Eine Weile sahen sie sich schweigend an.
»Welcher von Mikes Filmen hat Ihnen am besten gefallen?«
Alex sah ihn einen Moment lang an, dann lachte sie verlegen.
»Wenn ich Ihnen das sage, werden Sie wahrscheinlich denken: natürlich, was sonst.«
»Weshalb?«
Der Blick aus seinen dunklen Augen machte sie nervös, aber sie musste insgeheim zugeben, dass sie Nick Kostidis Unrecht getan hatte. Er war in Wirklichkeit sympathisch und sehr authentisch.
»Es ist Murder Inc .. .«
Aus dem Haus drangen Stimmen und Gelächter.
»Wieso sollte ich das denken?«, fragte Nick leise.
»Psychologisch gesehen würde meine Vorliebe für ausgerechnet diesen Film meine Faszination für einen Mann wie Vitali erklären, oder nicht?«
Nick betrachtete sie, dann schüttelte er leicht den Kopf.
»Ich glaube, so sehr fasziniert er Sie gar nicht mehr.«
Alex stockte der Atem. Wie konnte er das wissen?
»Sie waren sehr verärgert, als ich Sie an Weihnachten auf ihn angesprochen habe«, sagte Nick. »Sie waren verunsichert und wütend auf mich, weil Sie erkannten, dass ich es gemerkt habe.«
Alex lachte unsicher.
»Haben Sie Psychologie studiert?«
»So ähnlich«, er lächelte und zuckte die Schultern, »ich war sehr lange Staatsanwalt und ich glaube, ich habe mir eine recht gute Menschenkenntnis angeeignet. Ich ...«
Mary Kostidis trat in Begleitung eines jungen Mannes auf die Terrasse. Alex erkannte den blonden Mann, den sie schon einmal mit Nick zusammen gesehen hatte. Es war an dem Abend im City Plaza gewesen, an dem Abend, als er sie vor Sergio Vitali gewarnt hatte. Aber irgendwo hatte sie ihn nochmals gesehen und sie verband eine negative Assoziation mit ihm.
»Ich möchte nicht stören«, sagte Mary. »Nick, Ray würde gerne kurz mit dir sprechen.«
»Ja, natürlich.« Er wandte sich an Alex: »Würden Sie mich bitte entschuldigen, Alex?«
Sie nickte und blickte ihm mit einer Mischung aus Faszination und Verunsicherung nach, als er mit dem Mann im Haus verschwand.
»Kommen Sie mit herein, Alex«, sagte Mary freundlich, »es gibt noch ein kleines Dessert.«
***
»Was gibt es denn so Wichtiges?«, fragte Nick seinen Assistenten, als er die Tür des Arbeitszimmers hinter sich geschlossen hatte.
»Es ist wieder ein Brief für Sie abgegeben worden«, erwiderte Raymond Howard und reichte ihm einen Umschlag, auf dem nur sein Name stand.
Nick riss den Briefumschlag auf und faltete den Papierbogen auseinander. Du hast nicht geschwiegen. Du wirst sterben.
»So ein Quatsch!« Er knüllte das Blatt ungehalten zusammen. »Woher kommt das?«
»Es wurde vorne am Tor bei einem der Sicherheitsbeamten abgegeben«,
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