Unter Haien - Neuhaus, N: Unter Haien
Feinde, undNick hatte oft genug durch seine schonungslose Offenheit anderen empfindlich auf die Füße getreten. Das Schlimmste an den endlosen Befragungen war aber, dass Frank wusste, wer tatsächlich hinter dem Anschlag steckte, doch er konnte es nicht sagen, bevor er nicht mit Nick darüber gesprochen hatte. Voller Grauen erinnerte er sich an den Anblick Raymond Howards. Jedes Mal, wenn er die Augen schloss, sah er dessen entstelltes Gesicht vor sich. Die Explosion hatte ihm beide Hände abgerissen und es wäre gnädiger gewesen, wäre er sofort tot gewesen. Als die Sicherheitsbeamten Nick ins Haus gebracht hatten, war Frank zu seinem Kollegen gegangen. Noch fünf Minuten zuvor war Ray Howard ein gut aussehender Mann mit einem durchtrainierten Körper gewesen, aber die Flammen hatten aus ihm einen Zombie gemacht. Die Haare, die Augenbrauen – alles war verbrannt. Die Haut schien geschrumpft. Ray hatte wie eine Mumie ausgesehen, aber er hatte noch gelebt. Trotz des Ekels hatte Frank sich über ihn gebeugt, als die Sanitäter den verbrannten Körper vorsichtig in eine Aluminiumfolie gewickelt hatten. Rays Armstümpfe hatten sich nach ihm ausgestreckt, die Augen in dem grauenhaft entstellten Gesicht hatten ihn verzweifelt angesehen. Wieder und wieder hatte er versucht, ihm etwas zu sagen, bis Frank endlich verstanden hatte. Ray hatte ihm gesagt, wer für den Anschlag verantwortlich war, und es war keine Überraschung gewesen. Wirklich niederschmetternd war die Erkenntnis, dass Ray Howard, der Mann, mit dem Frank seit sechs Jahren beinahe jeden Tag zusammengearbeitet hatte, der Maulwurf war, den Nick so verzweifelt gesucht hatte.
Frank Cohen hatte die schwere Aufgabe übernommen, die Angehörigen der Opfer zu verständigen. Er hatte Marys Schwester Maureen, ihre Eltern und die Eltern von Britney Edwards angerufen, er hatte mit den fassungslos weinenden Hausangestellten von Gracie Mansion gesprochen und war dann in die City Hall gefahren, um eine Verantwortung zu übernehmen, die zentnerschwer auf seinen Schultern lastete. Am liebsten hätte er sich irgendwo verkrochen um zu weinen, denn er verehrte Nick Kostidis wie einen Vater. Nick hatte noch längst nicht wirklich begriffen, was geschehen war, und es bekümmerte Frank zutiefst, dass er ihm nicht helfen konnte. Aber er durfte nicht zusammenbrechen undweinen wie Allie Mitchell und viele andere Mitarbeiter aus dem Stab des Bürgermeisters, er musste stark bleiben, weil er wusste, dass Nick jemanden brauchte, auf den er sich rückhaltlos verlassen konnte. Jedermann in der City Hall war in den Tagen nach dem Anschlag wie betäubt. Niemand lachte, keiner sprach ein lautes Wort und alle fragten sich, wie es nun weitergehen würde. Sämtliche offiziellen Termine waren abgesagt worden, die Fahnen in ganz New York City wehten auf halbmast. Täglich erreichten Hunderte von Beileidswünschen in Form von Briefen, Postkarten, Telefaxen, Telegrammen, E-Mails und Anrufen das Büro des Bürgermeisters. Es war Frank ein kleiner Trost, dass selbst in dieser kalten, monströsen Stadt Menschen lebten, die ein mitfühlendes Herz besaßen. Frank, der eigentlich die Begegnung mit der Öffentlichkeit scheute, wuchs in diesen Tagen über sich selbst hinaus. Er trat vor die Presse, berief einen Krisenstab ein und behielt den Überblick; er sorgte dafür, dass nach Abschluss der polizeilichen Untersuchungen die Spuren der Explosion im Park von Gracie Mansion und am Haus selbst beseitigt wurden. Schon bald erinnerte auf den ersten Blick nichts mehr an die Tragödie, die sich an jenem Sonntagmorgen dort abgespielt, vier Menschenleben ausgelöscht und eines vielleicht für immer zerstört hatte.
***
Vincent Levy und Sergio Vitali saßen sich an einem Tisch im La Côte Basque , einem kleinen Restaurant an der Madison Avenue mit hervorragender französischer Küche, gegenüber. Levy hatte Sergio ausführlich über das Debakel mit Syncrotron berichten müssen, nachdem dieser es von Alex erfahren hatte. Am liebsten wäre es Levy gewesen, wenn Sergio nichts davon erfahren hätte, aber nun schien es ihm doch wichtig, neue Sicherheitsmaßnahmen zu besprechen.
»Zack hat sich leider sehr dumm benommen«, beendete Levy seine Ausführungen.
»Der Mann hat schlechte Nerven«, erwiderte Sergio.
»Ja. Leider. Vor allen Dingen, wenn es um Alex Sontheim geht«, bestätigte Levy. »Manchmal macht es fast den Anschein, als sei er eifersüchtig auf ihre Erfolge.«
Sergio runzelte nachdenklich die Stirn.
Weitere Kostenlose Bücher