Unter Haien - Neuhaus, N: Unter Haien
Antwort erlebte man das Grauen und Entsetzen wieder, und er wünschte, er hätte Alex diesen Teil des Verhörs ersparen können.
»Mr Vitali drang mit vier Männern in mein Zimmer ein«, sie sprach mit ausdrucksloser Stimme, »er schlug mich und ließ mich fesseln. Er ließ keinen Zweifel daran, dass er mich töten würde, wenn er alles erfahren hatte, was er wissen wollte.«
Die anwesenden Männer schwiegen.
»Vitali wollte mich zwingen, ihm die Dinge zu sagen, die ich Ihnen jetzt gesagt habe. Er schlug mich wieder, dann ließ er mich von seinen Männern schlagen und vergewaltigen. Als er glaubte, dass ich tot war, ließ er mich in den East River werfen.«
Nick konnte es kaum mehr aushalten. Das erste Mal, seitdem Alex den Raum betreten hatte, blickte sie ihn an und sie sah, dass es ihn beinahe genauso quälte wie sie selbst.
»Es ist schon in Ordnung, Nick«, sagte sie leise. »Ich will, dass er verhaftet und verurteilt wird.«
»Es tut mir leid, dass wir Ihnen das nicht ersparen können, Mrs Sontheim«, Connors Stimme klang entschuldigend, »aber durch Ihre Aussage können wir Mr Vitali wegen mehrerer Kapitalverbrechen anklagen. Ich möchte nicht riskieren, dass er uns noch einmal durch die Lappen geht.«
Alex nickte.
»Sind Sie bereit, vor Gericht gegen ihn auszusagen?«
»Ja«, Alex nickte wieder, »das bin ich.«
Eine Weile herrschte völlige Stille in dem großen Raum.
»Sie wissen, wie gefährlich eine solche Aussage für Sie werden kann?«
»Ja«, erwiderte Alex ruhig, »das weiß ich. Aber ich habe keine Angst mehr. Ich werde mich nicht verstecken und ich will auch keine andere Identität. Wenn er will, wird er mich immer und überall finden. Ich werde gegen ihn aussagen.«
Das Verhör war um halb eins beendet. Nick und Frank fuhren in die City Hall und die Staatsanwälte machten sich an die Arbeit,die Haftbefehle vorzubereiten. Alex hatte auf Fotos nicht nur den Mörder von David Zuckerman, sondern auch die Männer, die sie vergewaltigt hatten, identifiziert. Außerdem hatte sie Luca di Varese und Silvio Bacchiocchi als Mörder der beiden US-Marshals und des Arztes im Goldwater Memorial benannt. 23 Staatsanwälte arbeiteten unter Hochdruck bis zum Abend an den Anklageschriften und den Haftbefehlen. In wenigen Stunden würde die Bombe platzen. Sergio Vitali ahnte nicht, dass viele seiner ›Freunde‹ heute Abend nur ins St. Regis kommen würden, weil die Staatsanwaltschaft sie dazu gezwungen hatte. Sehr bald würden sich die Handschellen um seine Handgelenke schließen, und Lloyd Connors war fest entschlossen dafür zu sorgen, dass er das Gefängnis niemals wieder verlassen würde.
***
Nick verließ am späten Nachmittag sein Büro in der City Hall in Begleitung der beiden Sicherheitsbeamten, auf die Frank und Lloyd Connors stur bestanden. Connors hatte Nick gebeten, mit ins St. Regis zu fahren, um Vitalis Verhaftung mitzuerleben, aber er hatte abgelehnt. Er fühlte sich müde und ausgebrannt. Es kam ihm plötzlich so vor, als sei er jeder Perspektive beraubt und habe die Fähigkeit verloren, die einfachsten Entscheidungen zu treffen. Die letzten Wochen und Tage hatte ihn ausgelaugt, und nun, da das Ziel, das er jahrelang so verbissen verfolgt hatte, in greifbare Nähe gerückt war, merkte er, dass es ihm nichts mehr bedeutete. Der Preis, den er gezahlt hatte, war zu hoch gewesen und es gab niemanden mehr, mit dem er den Triumph, den Vitalis Verhaftung hätte werden sollen, teilen konnte. Und dann war da noch Alex. Vitali hatte auch sie auf dem Gewissen. Nick ahnte, dass sie die Stadt verlassen würde, sobald der ganze Spuk vorbei war, und er konnte verstehen, dass sie hier, wo sie so Entsetzliches erlebt hatte, nicht mehr leben wollte. Sie war noch jung, irgendwo konnte sie ein neues Leben anfangen, bis die schrecklichen Ereignisse nur noch Schatten aus der Vergangenheit waren. Mit Oliver Skerritt, der sie ganz offensichtlich liebte und ihr nicht von der Seite wich, hatte sie vielleicht eine neue Chance. Während die Limousine imSamstagnachmittagstau über die Brooklyn Bridge kroch, dachte Nick über seine eigene Zukunft nach. Ein Jahr als Bürgermeister dieser Stadt, die er gleichzeitig hasste und liebte, lag noch vor ihm. Er würde dieses Jahr durchstehen, denn das war er den Menschen, die ihn gewählt hatten, schuldig. Dann würde er 55 Jahre alt sein. Vielleicht sollte er als Anwalt in eine Kanzlei eintreten, vielleicht war es aber auch besser, New York den Rücken zu kehren und
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