Unter Haien - Neuhaus, N: Unter Haien
Hause fahren.«
»Oh, bitte!« Die Frau griff wieder nach Alex’ Hand. »Begleiten Sie mich doch! Ich wohne in der Park Avenue, nicht weit von hier. Unser Fahrer wird Sie dann nach Hause fahren, dann müssen Sie kein Taxi nehmen.«
Alex zögerte. Sie wollte sich nicht als große Retterin feiern lassen. Nachdem die Polizei alle Personalien aufgenommen und Alex erstaunt festgestellt hatte, dass sie der weltberühmten Opernsängerin Madeleine Ross-Downey zur Hilfe geeilt war, stieg sie aber doch mit in den Streifenwagen, der sie in die Park Avenue 1016 brachte. Alex kannte die Gegend, denn genau im Nachbarhaus der Downeys lag Sergios Wohnung. Der Bereich der Park Avenue zwischen den 60. und der 80. Straße war das beste und teuerste Wohnviertel der ganzen Stadt. In den alten und großen Kalksandsteinhäusern, die besser an einen der Prachtboulevards in Paris als nach New York City gepasst hätten, lebten die Reichen und Mächtigen in einem elitären Mikrokosmos, abgeschirmt von der Armut und Verzweiflung des nur eine Meile entfernten East Harlem. Wachpersonal und private Leibwächter sorgten dafür, dass Park Avenue so sicher war wie eine englische Kleinstadt. Der Portier von Nummer 1016 war entsetzt und schockiert, als er eine ramponierte Mrs Ross-Downey aus dem Streifenwagen steigen sah. Sie hatte ihren ersten Schock überwunden und versicherte dem besorgten Mann, dass sie in Ordnung sei.
»Kann ich Sie jetzt allein lassen, Mrs Ross-Downey?«, fragte Alex.
»Oh, bitte, nennen Sie mich Madeleine«, die Opernsängerin lächelte unsicher, »und bitte, kommen Sie noch mit nach oben. Mein Mann wird es mir nicht verzeihen, wenn ich ihm meine Retterin nicht vorstelle.«
Neugierig auf die Wohnung und Madeleines Mann Trevor Downey, der als Erbe der gleichnamigen Kaufhauskette auch als der ›Kaufhaus-König von Manhattan‹ bezeichnet wurde, fuhr Alex mit ihr im marmorverkleideten Luxusaufzug hinauf in den3. Stock. Trevor erwartete sie, vom Portier alarmiert, bereits in der offenen Wohnungstür. Schockiert und erleichtert nahm er seine Frau, die bei seinem Anblick wieder anfing zu weinen, in die Arme. Als Madeleine ihre Fassung wiedergefunden hatte, stellte sie Alex ihrem Mann vor. Trevor Downey war ungefähr Mitte 40, hatte schütteres, sandfarbenes Haar und freundliche braune Augen. Sie gingen in einen der Salons, den ein wuchtiger Kamin dominierte, und nahmen in weichen Lederfauteuils Platz. Trevor schenkte seiner Frau und Alex Cognacs ein, die sie beide dankbar austranken. Während Madeleine wortreich den Überfall und Alex’ mutiges Eingreifen schilderte, schweiften Alex’ Blicke durch die luxuriöse Wohnung, die freundlicher wirkte als der kalte Marmorpalast von Sergio im Haus nebenan: glänzendes Parkett, raffiniert beleuchtete Bilder in prächtigen Goldrahmen, wertvolle Antiquitäten. Durch die geöffneten Flügeltüren erspähte sie im Nachbarsalon einen schneeweißen Konzertflügel. Sehr besorgt um seine Frau legte Trevor ihr eine Wolldecke um die Schultern und streichelte ihre Wange. Es war nicht zu übersehen, dass sich Trevor Downey und seine Frau von ganzem Herzen liebten und respektierten, das merkte Alex sofort an der liebevollen und dennoch selbstverständlichen Art und Weise, wie sie miteinander umgingen. Sie empfand einen Stich, fast so etwas wie Neid, und das erste Mal in ihrem Leben spürte Alex, dass Geld und Erfolg nicht alles waren.
»Ich mache mir schreckliche Vorwürfe, dass ich so leichtsinnig sein konnte.« Madeleine hielt ihr Cognacglas mit beiden Händen umklammert, ihr Gesicht war blass und tränenverschmiert, aber sie wirkte in ihrer vertrauten Umgebung einigermaßen ruhig. »Don und Liz, die mit mir gegangen sind, wollten mich nach Hause fahren, aber ich dachte, ein kurzer Spaziergang kann nicht schaden. Ich glaube, wenn man in dieser behüteten Welt lebt, verliert man den Bezug zur Realität.«
Trevor legte seine Hand auf ihre Schulter.
»Hauptsache ist doch, dass dir dank deiner Retterin nichts Schlimmeres zugestoßen ist«, er lächelte Alex an, »der Himmel hat Sie geschickt.«
»Es war ungeheuer mutig von Ihnen, Alex!« Madeleines Augen blitzten bewundernd, dann kicherte sie leise. »Sie haben diesebeiden fiesen Typen regelrecht k. o. geschlagen! Hatten Sie denn gar keine Angst?«
»Es ging so schnell, dass ich gar keine Zeit zum Nachdenken hatte«, gab Alex zu und dachte kurz an ihren wilden Zorn auf Sergio und ihre ganze Situation, der sich in ungezügelter Aggressivität
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