Unter Haien - Neuhaus, N: Unter Haien
Gouverneur des Staates New York, Richter und Anwälte. Sie konnten unmöglich die Wahrheit über Sergio Vitali wissen! Der kultivierte, charmante und großzügige Sergio Vitali war ein Gangster, der seine Feinde eiskalt von Killern umbringen ließ. Don Sergio , der eine Armee von Mördern befehligte und sich mit Geld und Mord den Weg ebnete, den zu gehen er sich vorgenommen hatte. Alex fröstelte.
»Komm, Cara«, sagte Sergio, »lass uns zu meinen Gästen hinausgehen. Wir trinken noch ein Glas Champagner und amüsieren uns.«
»Ja«, murmelte Alex benommen, »ja, das klingt gut.«
Sie folgte ihm hinaus auf den Flur. Vor der Tür blieb er stehen und sah sie prüfend an.
»Ist alles in Ordnung mit dir? Du bist ganz blass.«
»Nein, nein. Es ist alles okay«, Alex lächelte, »das ist nur der Schreck.«
Über ihr ganzes Leben war an diesem Abend ein düsterer Schatten gefallen, und sie fragte sich verzweifelt und voller Angst, was sie nun tun sollte.
***
Frank Cohen gähnte und rieb sich die Augen. Seine Uhr zeigte Viertel nach zehn. Außer ihm waren in der City Hall nur noch Sicherheitsbeamte und Putzkolonnen unterwegs. Während des Tages herrschte im Büro des Bürgermeisters von New York Cityso viel Hektik, dass Frank sich die Dinge, die Konzentration erforderten, für den Abend aufhob. Seit zwei Abenden beschäftigte er sich mit Recherchen über Donald Coleman, einen schwarzen Prediger aus Harlem, der vor 15 Jahren in seiner Kirche von unbekannten Tätern erstochen worden war. Sein Tod hatte damals beinahe einen Bürgerkrieg ausgelöst und Coleman zu einem Märtyrer gemacht. Morgen würde Bürgermeister Kostidis einen Jugendtreff eröffnen, der nach Donald Coleman benannt werden würde. In diesem Jugendtreff in einem der ärmsten Stadtviertel East Harlems würden sich zehn Sozialarbeiter um die Straßenkinder der Gegend kümmern. Es gab eine Bibliothek, Computerräume sowie eine Beratungsstelle für drogensüchtige und arbeitslose Jugendliche. Der Drucker spuckte die vier Seiten aus, die alle Informationen über Donald Coleman enthielten, derer Frank hatte habhaft werden können. Der Bürgermeister würde sie morgen in zwei Minuten überfliegen – zwei Minuten für mindestens acht Stunden Arbeit – und eine brillante Rede über Donald Coleman vor den Gästen bei den Eröffnungsfeierlichkeiten halten, so als sei Coleman jahrelang sein engster Freund gewesen. Frank lächelte vor sich hin, während er seine Unterlagen zusammenräumte und den Computer abschaltete. Nicholas Kostidis war zweifelsohne der beeindruckendste Mensch, den er je getroffen hatte. Er hatte ihn vor knapp zwölf Jahren kennen gelernt, als Kostidis stellvertretender Generalstaatsanwalt im Justizministerium in Washington D. C. gewesen war. Frank war damals gerade von der Universität gekommen und hatte als frischgebackener Jurist mit Prädikatsexamen einen der wenigen und heiß begehrten Praktikumsplätze im Justizministerium ergattert. Man hatte ihn dem Stab von Kostidis zugeteilt, und Frank war sofort von diesem Mann fasziniert gewesen. Er besaß eine schier unerschöpfliche Energie, eine scharfe Intelligenz, eine mitreißende charismatische Ausstrahlung und die Fähigkeit, andere Menschen zu begeistern. Nick Kostidis war gradlinig und unbestechlich, ehrgeizig, ohne arrogant zu sein, und ihm lag die Bekämpfung des Verbrechens im Gegensatz zu den meisten anderen, die nur ihre politische Karriere im Kopf hatten, ehrlich am Herzen. 16-Stunden-Tage waren normal, er nahm keine Rücksicht auf sich selbst und verlangte von seinen Mitarbeitern absolute Loyalitätund harte Arbeit. Dafür war er ein unkonventioneller und großzügiger Chef. Kleinlichkeit und Beamtentum waren ihm fast so verhasst wie das organisierte Verbrechen und der Drogenhandel, deren Bekämpfung er sich später, als leitender Staatsanwalt von New York City, zur Hauptaufgabe machte. Nick Kostidis’ Begeisterung wurde von seinen Gegnern oft als Fanatismus bezeichnet, wobei Frank zugeben musste, dass es manchmal tatsächlich den Anschein erweckte, als sei es so. Er erinnerte sich lebhaft an den Winter des Jahres 1984/85. Nach monatelangen, intensiven Vorbereitungen der RICO-Anklagen gegen führende Mafiabosse der Stadt war Kostidis nur noch ein Schatten seiner selbst gewesen, bleich, mit tiefen Rändern unter den Augen, nur noch von seiner schier unmenschlichen Energie angetrieben. Er lebte für seinen Beruf und er liebte die Stadt, in der er geboren und aufgewachsen war.
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