Unter Haien - Neuhaus, N: Unter Haien
Nacht meinen Bruder in der Bronx verhaftet. Ich möchte Sie bitten, dafür zu sorgen, dass er sofort entlassen wird.«
»Ich ... äh ... weshalb rufen Sie mich an?« John de Lancie gefiel der Tonfall nicht, in dem der Mann mit ihm sprach. Außerdem erschreckte es ihn, dass jemand anderes als Sergio Vitali von der geheimen Abmachung, die zwischen ihnen bestand, wusste. Offiziell war Vitali alles andere als sein Freund, schon gar nicht nach der Zuckerman-Sache im vergangenen Jahr. Bisher hatte de Lancie nur mit Sergio persönlich zu tun gehabt, deshalb zog er es vor, sich dumm zu stellen. Schließlich konnte der Anruf auch eine Falle sein.
»Mein Vater ist vor einer Stunde angeschossen worden und liegt im Krankenhaus«, fuhr Massimo fort. »Ich kann ihn schlecht mit dieser Angelegenheit belämmern. Wir brauchen Ihre Hilfe, und zwar sofort! Mein Bruder darf nicht ins Gefängnis kommen, verstehen Sie?«
»Was soll ich denn tun? Sie haben doch sicherlich einen Anwalt, der ...«
»Ich weiß, dass Sie meinem Vater einen Gefallen schulden«, unterbrach Massimo ihn grob, für höfliche Floskeln schien ihm die Zeit zu fehlen. In de Lancies Gehirn begann es zu arbeiten. Konnte er tatsächlich mitten in der Nacht auf ein Polizeirevier fahren und einen Mann, der wegen irgendeines Verbrechens verhaftet worden war, laufen lassen? Sein Job war schließlich das Gegenteil.
»Ich werde sehen, was ich tun kann«, erwiderte er und Massimo legte auf. Keine 30 Sekunden später klingelte das Telefon erneut. Es war einer der jungen Staatsanwälte aus de Lancies Büro, der bestätigte, was Massimo eben gesagt hatte. Es hatte einen Überfall auf ein Wohnhaus gegeben. Ein Polizist war angeschossen worden, einer der Gangster war tot. Unter den Verhafteten befand sich der Sohn von Vitali und das 41. Polizeirevier hatte jemanden von der Staatsanwaltschaft angefordert. John de Lancie befand sich in einer Zwickmühle. Er war Vitali tatsächlich verpflichtet, aber es war ihm sehr unangenehm, sich in einer solch delikaten Angelegenheit zu exponieren. Zwar hatte erVitali Hilfe zugesagt, aber damit hatte er eher Hintergrundarbeit gemeint. Auf der anderen Seite konnte nicht viel passieren. Wahrscheinlich hatte kaum jemand etwas mitbekommen, denn in der South Bronx waren solche Vorfälle alltäglich. Kaum ein Reporter würde in einer verregneten Nacht aufstehen, um im berüchtigten 41. Revier auf eine Verhaftung zu warten.
»Ich fahre selber hin«, sagte er zu seinem Mitarbeiter, der dies verblüfft zur Kenntnis nahm. »Es ist besser, wenn ich das selbst übernehme. Die Presse ist im Moment ziemlich sensibel, wenn es um diesen Vitali geht, und da dürfen keine Fehler gemacht werden.«
***
Lieutenant Patrick Peters brach der Schweiß aus.
»Das kann ich nicht machen«, sagte er leise, »unmöglich …«
»Ihnen wird schon was einfallen«, Luca di Varese lächelte nicht, »hier sind drei Riesen. Noch mal drei, wenn die Sache erledigt ist.«
Der Polizeibeamte schluckte. Luca blickte ihn abwartend an. Ihm gefiel nicht, was er hier tat, aber der Befehl, den sein Boss ihm damals auf der Rückfahrt von Brooklyn in die Stadt gegeben hatte, war eindeutig gewesen. Sergio Vitali hatte geahnt, dass sein jüngster Sohn eines Tages irgendeine Dummheit machen und im Knast landen würde. Und er hatte auch geahnt, dass er im Knast vor Angst und Feigheit wie eine Nachtigall singen würde. Der Boss war bereit, seinen Sohn zu opfern, um seine Geschäfte zu schützen. Entgegen Lucas Hoffnungen war der Fall nun eingetroffen, und da Sergio Vitali nicht in der Lage war, eine Entscheidung zu treffen, Massimo, Silvio oder van Mieren nichts davon erfahren durften, so war es an ihm, den Befehl auszuführen. Lieutenant Peters nahm nach minutenlangem Zögern das Bündel Geldscheine.
»Er soll ... tot sein, wenn ich richtig verstanden habe«, flüsterte er.
»Richtig«, Luca nickte mit ausdrucksloser Miene. Dann drehte er sich um und verließ den Parkplatz des 41. Polizeireviers, ohne dass ihn jemand gesehen hätte, und machte sich auf den Rückweg nach Long Island.
***
Captain Tremell berichtete von den nächtlichen Vorfällen.
»Vitali junior hat ausgepackt«, sagte er mit gesenkter Stimme und Nick spürte, wie ihm ein Schauer über den Rücken rieselte. Er konnte es nicht fassen.
»Er war wohl eher zufällig dabei«, fuhr Tremell fort, »die Typen haben im Auftrag eines gewissen Silvio Bacchiocchi das Haus überfallen und angezündet. Dieser Bacchiocchi ist Vitalis
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