Unter Haien - Neuhaus, N: Unter Haien
drängte sich vor der wuchtigen Granitfassade in der Simpson Street. Ein wahres Blitzlichtgewitter ging auf ihn hernieder, als er sich mit grimmigem Schweigen einen Weg durch die aufdringliche Pressemeute in das Innere des Gebäudes bahnte. De Lancies Zorn mischte sich mit kalter Angst, als er im Wachraum ausgerechnet den Bürgermeister persönlich erblickte, seinen Amtsvorgänger, an dem er noch immer gemessen wurde und gegen den er, wie er nur zu gut wusste, recht blass aussah. Es war zu spät, um die Sache unauffällig aus der Welt zu schaffen, aber nun war er hier und konnte schlecht einfach wieder verschwinden. Irgendwie musste er retten, was noch zu retten war, ohne dass diesem schlauen Fuchs Kostidis ein Verdacht kam. Noch nie zuvor in seinem Leben hatte John de Lancie eine solch ohnmächtige Wut verspürt und niemals vorher war ihm vor Angst der Schweiß ausgebrochen, wie in der Sekunde, als er neben Captain Tremell und Lucas Morgan Nick Kostidis erblickte. Cesare Vitali war de Lancie völlig gleichgültig,aber er musste sich jetzt konzentrieren, um keinen taktischen Fehler zu machen, der fatale Folgen haben konnte.
»Was ist hier eigentlich los?«, fragte er gereizt. Sofort wiederholte Nelson van Mieren seine Beschwerde.
»Sie werden schon mit ihm sprechen können«, sagte de Lancie, aber er starrte Nick an. In seinen Augen stand Zorn, aber Nick meinte, auch eine Spur von Unsicherheit zu erkennen.
»Was tun Sie hier?«, fragte de Lancie scharf. »Wollen Sie Ihren alten Job wiederhaben oder sind Sie nachts öfter zufällig in dieser Gegend?«
Seine Stimme troff vor Feindseligkeit.
»Nennen Sie es Neugier oder auch persönliches Interesse.« Nick fragte sich, weshalb der Staatsanwalt so empfindlich auf seine Anwesenheit reagierte.
»Ich verstehe nicht, weshalb wegen der Verhaftung von ein paar Randalierern, die eine heruntergekommene Baracke in der South Bronx anzünden wollten, der Bürgermeister, der stellvertretende Polizeichef und der Bundesstaatsanwalt hierhergerufen werden!«, ereiferte sich de Lancie. »Was ist denn schon dabei?«
»Es gab einen schwer verletzten Polizisten, einen Toten und erheblichen Sachschaden«, mischte Tremell sich ein, »außerdem hatte ich nur jemanden von der Staatsanwaltschaft angefordert und nicht Sie persönlich, Sir.«
John de Lancie fuhr herum, als habe der Captain ihm ein Messer zwischen die Rippen gestoßen. Er öffnete den Mund zu einer heftigen Bemerkung, zog es aber vor zu schweigen, als er Nicks forschendem Blick begegnete.
»Na ja«, fuhr er nach einer Weile in ruhigerem Tonfall fort, »wie ich das sehe, sind wir hier, weil der Sohn eines Mannes verhaftet wurde, der in dieser Stadt viel Macht und Einfluss hat. Es geht wohl weniger um die Tat als solche, als um eine Schadensbegrenzung in der Öffentlichkeit.«
»Wie bitte?« Nick glaubte, sich verhört zu haben. »Ein Polizeibeamter ringt im Krankenhaus mit dem Tod! Was für einen Schaden wollen Sie denn begrenzen?«
»Mein Gott, Nick«, de Lancie standen die Schweißtropfen auf der Stirn, »es ist doch überhaupt nicht geklärt, ob der Junge auf den Beamten geschossen hat oder nicht. Nur weil Sie mit seinemVater verfeindet sind, müssen wir uns doch nicht vorwerfen lassen, wir würden wegen einer Lappalie wie dieser überreagieren!«
Captain Tremell und Lucas Morgan klappte vor Erstaunen der Mund auf. Die nächtlichen Überfälle auf Wohnhäuser, bei denen Menschen bedroht und verletzt wurden, waren wohl kaum als eine Lappalie zu bezeichnen!
»Ich bin mit Vitali nicht verfeindet«, gab Nick zurück, »ich halte ihn für einen gewissenlosen Verbrecher. Und ich habe meine Meinung nicht mit meinem Job gewechselt. Nach wie vor denke ich, dass man ihm das Handwerk legen muss, wenn man ein Minimum an Sicherheit und Ordnung in dieser Stadt herstellen will.«
Nick bemerkte de Lancies Nervosität, er sah den Schweiß auf dessen Stirn und erinnerte sich an seinen Verdacht, Vitali habe de Lancie gekauft. Es war unglaublich, aber es schien die Wahrheit zu sein. Sicherlich hatte Vitali den Staatsanwalt hierhergeschickt, um die Sache schnell aus der Welt zu schaffen, und das wäre wahrscheinlich auch gelungen, wenn er, Nick Kostidis, nicht zufällig auch von der Angelegenheit Wind bekommen hätte. De Lancies Wangenmuskulatur vibrierte und sein Gesicht hatte eine ungesunde rote Farbe.
»Ich würde gerne mit dem Jungen reden«, sagte Nick zu Captain Tremell.
»Das werden Sie nicht tun«, unterbrach de Lancie ihn
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