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Unter Korsaren verschollen

Unter Korsaren verschollen

Titel: Unter Korsaren verschollen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Legere
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den Stift in die Hand genommen und die Frau und den Sohn zeichnen wollen. Die blühenden, lachenden Lieben waren so, wie er sie nie aus. dem Gedächtnis verlieren wird, und dennoch, der Tod unter so furchtbaren Verhältnissen überschattete sie. Die Skizzen flogen zerknüllt zur Seite.
    Erneut begann er; aber wieder grinste der Tod aus den Blättern. Der Mann kann das Leben nicht mehr einfan-gen für Frau und Kind. Er wagt es nicht einmal, die letzte von Livio angefertigte Zeichnung, die damals nach dem Überfall auf die »Astra« vom Salzwasser des Mittelländischen Meeres ausgebleicht war und nur noch für die Augen des Vaters sichtbar ist, nachzuziehen. Wenn nun auch aus diesem unersetzlichen Besitz plötzlich der Tod mahnte!
    Vielleicht, daß er dem Wunsch der Freunde des Hauses nachkommt und später einmal ausführlich über seine Erlebnisse berichtet, später, wenn er genesen sein wird.
    Aber bis dahin dürfte noch einige Zeit verstreichen. Die Wunde und die seelische Erschütterung haben ihn geschwächt, er ist ans Zimmer gefesselt. Einzig wenn der Vater mit Freunden musiziert, verlangt der Kranke, ins Musikzimmer gebracht zu werden. Er sucht Trost in der Musik. Beethovens Erde und Himmel stürmende Kraft ist Erlebnis, aber die Töne können den Schmerz nicht lindern, nicht neues Ringen gebären.
    »Luigi, Luigi!« Selim poltert die Treppe zu des Freundes Zimmer herauf. »Besuch!« Das dunkle Gesicht des Negers strahlt helle Freude, als er jetzt im Türrahmen steht.
    »So aufgeregt und abgehetzt, Selim? So sah ich dich selten.«
    »Er freut sich, Luigi, und das freut mich auch!« Das ist eine andere Stimme. Parvisi hatte sich abgewandt, so daß er den schwarzen Freund nicht mehr sehen konnte.
    Diese Stimme!
    »Pierre-Charles! Du, Pierre-Charles!« Luigi will sich aus dem Sessel erheben, aber der Franzose läßt es nicht zu.
    »Bleib sitzen, Luigi, keine Anstrengungen machen!« Er beugt sich über ihn und küßt ihn.
    »Was führt dich zu mir, alter Freund? – Verzeih, ich vergaß in meiner Freude: Herzlich willkommen! – Bitte hierher ins volle Licht. Ich muß dich ansehen können, El-Fransi.«
    De Vermont lächelt und läßt Luigi Zeit, ihn zu betrachten. Endlich glaubt er, das Schweigen brechen zu dürfen.
    »Ich habe deinen Brief erhalten, den nüchternen, sachlichen Brief. Er mag für jeden anderen genügen, für Pierre-Charles de Vermont, für El-Fransi nicht. Der alte El-Fransi will mehr wissen. Deshalb bin ich gekommen, der Freund, der dir alle Hilfe anbietet, wenn du solche brauchen solltest.«
    »Ich danke dir, aber unter dem Kapitel ,Algier – Sklaverei’ steht in großen Buchstaben das Wort ,Ende’. Algerien gehört der Vergangenheit an, wenn diese Vergangenheit auch zugleich Gegenwart und sicherlich Zukunft sein wird.«
    De Vermont übergeht diese bittere, entsagende Bemerkung Parvisis. »Erzähle, Luigi«, bittet er. »Wenigstens beginne. Ich habe Zeit, viel Zeit.«
    Oft unterbricht Selim den Bericht, wenn Luigi sich nicht mehr an Einzelheiten erinnert, sie für unwichtig ansieht, sich nicht in den Vordergrund gestellt sehen möchte. Manches auch kann eben nur der Neger er-zählen. Wie er den Freund zweimal als Verwundeten wochenlang gepflegt und zurück in den Hafen gebracht hat, davon weiß Parvisi nichts; denn auch ihm gegenüber hat der Neger alles als eine Selbstverständlichkeit angesehen und soviel wie möglich geschwiegen. Erst jetzt erfährt Luigi zusammenhängend die Geschehnisse nach dem Tode Mustaphas. Die entflohenen Begleiter des Renegaten hatten den Dey unterrichtet, und ganz Algerien war auf die Beine gebracht worden, um El-Fransi und Selim zu fangen. Aber die Eingeborenen hatten zu den Freunden gehalten und sie über die tunesische Grenze in Sicherheit gebracht. Lange war man in Tunis geblieben, bis das Fieber Luigis nachgelassen hatte und die Seereise unternommen werden konnte.
    »Und damit betrachtest du die Sache als erledigt?« fragt Pierre-Charles, als der Erzähler schweigt.
    »Ich bin ein Krüppel und krank.«
    »Du wirst genesen. Und Krüppel? Unsinn, Luigi! Nicht der Arm, der Kopf, der Geist kämpfen. – Hast du übrigens mit diesem Gravelli gesprochen? Natürlich nicht; denn du bist ja noch krank«, verbessert sich de Vermont sofort.
    »Ich will nichts mehr mit der Sache zu tun haben. Die Toten werden davon nicht lebendig.«
    Schwer und ernst entgegnet der Franzose: »Den Toten ist der Friede, die Lebenden beten um ihn täglich, stündlich.«
    »Was soll

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